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Meinung: Bei ihm krankt’s am Herz

Von Caroline Fetscher

Gestern sollte Slobodan Milosevic sein Verteidigungsplädoyer halten. Es kam nicht dazu. Er ist, sagen die Ärzte, zu krank. Droht Europas größter Kriegsverbrecherprozess seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu scheitern – am Gesundheitszustand des Angeklagten? Am Gutachten von Kardiologen und anderen Ärzten? Zwar trat der Angeklagte, nach Monaten der Pause, wieder vor seine Richter am Den Haager UNTribunal, doch er konnte den Fehdehandschuh Justitias nicht aufnehmen. „Nur“ um Verfahrensfragen ging es, für alles andere sei der Mann zu krank, hatten die Ärzte erklärt. Doch der Prozess wird „radikal überprüft“, sagen die Richter. Pflichtverteidiger? Abbruch des Verfahrens? Alles steht zur Debatte.

Zwölfmal schon warfen Krankheiten des Kettenrauchers Milosevic die Agenda des Gerichts aus der Bahn. Was macht eine westliche, demokratische Justiz, die hochrangige und transparente Arbeit liefern soll, wenn Stress und Launen eines angeklagten Kriegsverbrechers dessen Prozess zum Platzen bringen können? Weltweit wächst das Bewusstsein, dass eine Epoche des Rechts angebrochen ist. Tribunale, Gerichte und Wahrheitskommissionen tagen und tagten auch zu Kambodscha, Ruanda, Südafrika, Sierra Leone sowie in den Post-Junta-Ländern Südamerikas – und nun im Irak. Überall studieren Angeklagte und deren Verteidiger die Strategien der anderen – auch die Täter und ihre Anwälte lernen schnell. Das ist richtig und soll so sein. Mit einem Teil der Milosevic’schen Taktik kommt ein Element subtiler Perfidie hinzu. Er verwendet seine Physis, seinen – nur zu verständlichen – Stress, mit den eigenen Taten konfrontiert zu werden, um das Gericht unter Druck zu setzen.

Das Herz des Staatschefs, der kein Herz zeigte, lässt er jetzt für seinen Zeitgewinn arbeiten. Mit allen Mitteln will er Verfahren und Urteil hinauszögern, zugleich werden seine erratischen Auftritte immer unvorhersehbarer. Dem Gericht hielt er gestern schamlos „mittelalterliche Methoden“ vor, man wolle seine Gesundheit zerrütten. Dabei ist er es, der die Gesundheit der Justiz zerrütten will. Diese muss mitlernen und sollte dem Angeklagten wenigstens das Rauchen verbieten, wie sie es mit Alkohol schon tut. Das widerspricht nicht den Menschenrechten.

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