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Arbeit am Mythos. „Allegory of Government“ nannte das Künstlerduo Clegg & Guttmann (hier Michael Clegg beim Aufbau) seinen Beitrag zur „Based in Berlin“-Ausstellung in den Kunst-Werken. Klaus Wowereit hatte sich für die Schau stark gemacht.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin und seine Kulturlandschaft: Das ist doch keine Politik!

Nie haben so viele internationale Künstler, Tänzer, Filmemacher, Musiker, Autoren in Berlin gelebt und gearbeitet. Die Stadt muss halten, was sie heute so attraktiv macht. Doch dazu fehlt dem Regierenden Bürgermeister die kulturelle Bodenhaftung.

Was braucht die Kultur dieser Stadt? Das haben wir Kulturfreunde und Künstler gefragt und sie mit Blick auf die Wahlen am 18. September gebeten, Klaus Wowereits fünf Jahre als Regierender Kultursenator zu bilanzieren sowie Warnungen und Wünsche für die Zukunft zu formulieren. Als Erstes äußert sich der Rechtsanwalt und Kunstförderer Peter Raue. Als Nächstes folgt ein Beitrag von Adrienne Goehler.

Wie keine andere Stadt in Deutschland, ja in Europa definiert sich das Leben in Berlin über seine kulturellen Leistungen. Der Berlinbesucher fragt seine Berliner Freunde: Was muss ich sehen? Welche Ausstellung betrachten? Welches Theater besuchen? Wo entdecke ich Neues, das ich andernorts nicht finde? Und keiner wird in Zweifel ziehen, dass diese Strahlkraft auch eine der wichtigsten finanziellen Ressourcen für die gar nicht so arme Stadt darstellt – deren Reize ich nicht auf das Wörtchen „sexy“ reduziert sehen möchte.

„Rohstoffarm und meerfern“, hat Adrienne Goehler die Situation in Berlin einmal beschrieben. Und es scheint ja alles gut zu stehen um die kulturelle Metropole: Nie haben so viel internationale Künstler, Tänzer, Filmemacher, Musiker, Autoren in dieser Stadt gelebt und gearbeitet. Freilich wird Wesentliches vom Bund finanziert: die Berliner Festspiele, das Haus der Kulturen der Welt, das Jüdische Museum, das Holocaust-Mahnmal, die Sammlung Berggruen, die Akademie der Künste. All das lebt und wirkt in Berlin, wird aber nicht von Berlin getragen.

Trotz dieser erfreulichen „Grundversorgung“ ist das von der Berliner Politik abzusteckende Feld groß, bunt, herausfordernd, bedarf des pflegenden Gärtners. Der Suhrkamp Verlag hat seine Zelte hier aufgeschlagen, Berlin ist wieder eine Tanzstadt (Sasha Waltz, die im Hebbel-Theater gastierenden Kompagnien, das Festival „Tanz im August“, das zusammengelegte Ballett von Deutscher Oper und Staatsoper), die beispiellose Musikszene mit dem Weltspitzenorchester der Berliner Philharmoniker, das exzellente Staatsopernorchester, die vielen übrigen, international ausgewiesenen Orchesterformationen, Hunderte von Galerien, private und öffentliche Museen: blühende, glühende Landschaften. Dass sich Berlin für die Pflege dieses Humusbodens keinen eigenen Gärtner leistet, der Regierende Bürgermeister die Funktion des Kultursenators wahrnimmt, ist frappierend.

Klaus Wowereit fehlt der Kontakt zur Szene. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Die Kultur beim Regierenden, das hat dennoch sein Gutes. Jeder kulturelle Misserfolg ist ein Misserfolg für ihn – das weiß er zu vermeiden. Opern- und Theaterschließungen sind Berlin erspart geblieben. Keine Entscheidung von Gewicht kann der kulturnahe und -kundige Staatssekretär André Schmitz ohne das „Go“ des Regierenden treffen. Wer die Nachfolge des großartigen Matthias Lilienthal im HAU antritt, ob statt der Kunsthalle erst einmal die 1,6 Millionen Euro teure Ausstellung „Based in Berlin“ gestemmt wird oder der Vertrag der Opernintendantin Kirsten Harms ausläuft, entscheidet allein der Regierende Kultursenator.

Die Erhaltung des Glanzes dieser Stadt mag bei ihm gut aufgehoben sein. Ihm fehlt aber naturgemäß der enge Kontakt zur Szene. Er sitzt selten in den Theater-, Opern- oder Konzertsälen, besucht nicht andauernd die Galerienszene, sieht nicht die Regiearbeiten anderer in Amsterdam, Basel oder Graz. Er hat Wichtigeres zu tun – das hat er wirklich –, und kann deshalb nicht der ständige Gesprächspartner für die Kulturschaffenden sein, kennt ihre Probleme, ihre Träume, ihre Ängste nicht. Dass das Konzept für „Based in Berlin“ (mit der verunglückten Formulierung von der Leistungsschau) zu heftigen Protesten von 1500 prominenten Künstlern geführt hat, konnte den Regierenden nur überraschen, weil er vorher nicht in die Szene hineingehorcht hat.

Die großen Kultursenatoren dieser Stadt von Tiburtius über Sauberzweig, Kewenig und Hassemer wussten es: Nur Neugier, nur der ständige Dialog schafft Nähe und sichert Zukunft, für die Hochkultur genauso wie für die freie Szene. Die großartige Shermin Langhoff hatte mit ihrem 100-Plätze-Theater in der Naunynstraße ungeahnten Erfolg und wurde zum Theatertreffen eingeladen, wandert nun aber nach Wien ab, ohne dass es ein Gespräch mit dem Regierenden gab: nur ein Beispiel dafür, dass einem Mann, der die ganze Stadt regiert, die kulturelle Bodenhaftung fehlen muss.

Was noch mehr Anlass zur Sorge gibt: Es ist kein Plan, kein Planen ersichtlich, wie die Stadt halten will, was sie heute so attraktiv macht. Schnell kann es Berlin gehen wie Faust mit dem Geist: „Hab ich die Kraft, dich anzuziehen besessen, so hatt’ ich, dich zu halten keine Kraft.“ Gerne vergleicht sich Berlin mit der aufregenden New Yorker Kulturszene der 60er- und 70er-Jahre und vergisst: Die ist deshalb Vergangenheit, weil sich dort niemand um die Zukunft gekümmert hat.

Berlin riskiert, in der Gegenwart stecken zu bleiben, anstatt in die Zukunft zu weisen. Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Andere Städte – ich greife Köln heraus – verfahren nach dem Motto: „We are second, we try harder.“ Köln schickt sich gerade an, eine Akademie der Künste der Welt zu realisieren, in der pro Jahr bis zu 20 Stipendiaten aus der ganzen Welt eingeladen werden. Der Erkenntnis, dass sich Künstler an jedem für sie spannenden Ort niederlassen können, folgt das Bemühen, Köln möge der Ort der Sehnsucht werden, und nicht Istanbul, Mumbai oder Tel Aviv: Die Kunststiftung NRW realisiert halbjährige Residenzen für Künstlerinnen und Künstler aus Israel, Türkei und Indien. In Berlin verlässt man sich auf Berlin – getreu dem Motto „Be Berlin“ – und riskiert damit, die Gegenwart zu perpetuieren, statt die Zukunft zu gestalten. Das ist die Gefahr der laxen Kulturpolitik dieser Stadt, die man kaum Politik nennen kann.

Die Fashion Week, ein durchaus auch kulturelles Ereignis, liegt dem Regierenden immerhin am Herzen. Sie zu holen, zu halten, größer und bedeutender werden zu lassen, ist eine kluge, zukunftsweise Entscheidung. Einen solchen Impetus müssten alle Künstler der Stadt erfahren. Warum aber hat sich niemand darum bemüht, das skandalöse Aus für das Art Forum zu verhindern? Ein Kultursenator mit gutem Kontakt zur Szene hätte dieses Desaster durch Mediation verhindern müssen. Wo bleibt der Regierende Kultursenator, wenn es die grandiosen Pläne zum Humboldt-Forum zu verteidigen und die Erkenntnis zu vermitteln gilt, dass es sich um das bedeutendste Kulturprojekt der Stadt handelt? Und wer denkt in Berlin konstruktiv darüber nach, wie man die Basis für den Verbleib der Künstler erhalten kann: bezahlbare Mieten und Ateliers, warum nicht mithilfe der öffentlichen Hand? Auch das Drama um den Verbleib der Galerie C/O Berlin begründet diese Sorge.

Kulturpolitik ist auch Stadtentwicklungspolitik – ein Berliner Desaster. Offenbar hat niemand verantwortlich über die Zukunft des Tempelhofer Flughafenfelds nachgedacht, jedenfalls nicht vor der seit Jahren feststehenden Schließung. Alle waren ratlos, als sei es ein Naturereignis, das überraschend wie ein Tsunami über die Stadt kam. Nach der Flughafenschließung in Tegel wird sich diese Ratlosigkeit wohl wiederholen. Auch die Bebauungssituation auf dem Gelände um den Hauptbahnhof ist von Konzeptlosigkeit und Provinzialität geprägt.

Berlin sonnt sich in seiner kulturellen Anziehungskraft, verweist auf die beeindruckende Zahl der Touristen, seine Vielfalt und Lebendigkeit. Aber die Stadt vergisst, das Bestehende mit Fantasie und Innovationskraft (nicht unbedingt mit mehr Geld) auf Dauer zu erhalten und immer wieder zu verbessern. Diese Stagnation wird die Attraktivität Berlins mindern, schneller, als wir glauben. Die Karawane zieht weiter, wenn man ihr nicht genügend Zelte baut. Und kommt dann lange nicht zurück.

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