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Wer will shcon große Namen, wenn man großartige Neuentdeckungen haben kann?

© AFP

Berlinale: Wettbewerb der Entdeckungen

Eine merkwürdige Missstimmung herrschte in diesem Jahr am Potsdamer Platz: Zu wenige große Namen, zu wenige Weltpremieren. Dabei gilt nicht, dass Tempo ein Qualitätskriterium ist. Die Berlinale muss sich noch mutiger als bisher als Wettbewerb der Neuentdeckungen profilieren.

Die Berlinale in der Krise, darüber wurde in diesem Jahr ebenso viel diskutiert wie über die Filme. Zu wenige Weltpremieren, zu wenige Deutsche, schwacher Wettbewerb, keine guten Amerikaner – eine merkwürdige Missstimmung herrschte auf dem Festivalgelände am Potsdamer Platz. Bringt weniger Quantität mehr Qualität? Kann der Termin in den Dezember vorverlegt werden, damit die Oscar-Anwärter das Festival wieder als internationale Werbeplattform nutzen? Warum ist Cannes die Nummer Eins? Muss Festivalchef Dieter Kosslick gehen?

Nun beeindruckte der Wettbewerb in diesem Jahr durchaus: mit Geschichten aus dem wilden Kapitalismus in Osteuropa. Demokratiedefizite, Bigotterie, Korruption, Überlebenskampf – ein ähnlich komplexes Panorama aus Polen, Rumänien, Bosnien, Russland war bisher nirgendwo anders zu sehen. Der Osten ist wieder da auf der Landkarte des Weltkinos, eine aufregende Entdeckung. Zu Recht gab es den Goldenen Bären für „Child’s Pose“. 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der staatlichen Filmindustrien meldet sich eine Generation zu Wort, die aus der Krise erzählerische Kraft destilliert und von der billigen Digitaltechnik profitiert: Danis Tanovics „An Episode in the Life of an Iron Picker“, der den Großen Preis der Jury erhielt, hat gerade mal 17 000 Euro gekostet.

Dennoch fehlten im Wettbewerb die zwei, drei restlos umwerfenden Filme, die jedes Festival für eine positive Schlussbilanz braucht. Und es fehlte Vielfalt, Gelungenes aus anderen Regionen, vor allem aus Westeuropa und Amerika. Wird wirklich alles, alles getan, um die namhaften Autorenfilmer Aki Kaurismäki, Pedro Almodóvar, Mike Leigh, Michael Haneke, Lars von Trier oder Woody Allen den Machern in Cannes wieder abspenstig zu machen? War der neue Film von Ehrenbär-Preisträger Claude Lanzmann, der wohl im Mai an der Côte d’Azur laufen wird, wirklich noch nicht fertig? Buhlt Dieter Kosslick so unermüdlich um die Gunst der US-Studios, um Steven Spielberg, Kathryn Bigelow, Quentin Tarantino, wie es das Oscar-Dilemma erfordert?

Die Berlinale hat Probleme. Aber zu wenige Weltpremieren, das Festival als Resterampe? Das ist Unsinn. 15 von 19 Wettbewerbsbeiträgen dieses Jahr waren Uraufführungen. Cannes und Venedig, die anderen großen Player, zeigten 2012 auch in den Nebenreihen ausnahmslos Weltpremieren, aber jeweils nur rund 50 Filme. Die Berlinale präsentiert fürs Publikum gut 200 neue Langfilme, davon mehr als 100 Weltpremieren, so viele wie in Cannes und Venedig zusammen. Die Gier der beschleunigten Welt auf Unerhörtes, Ungesehenes, sie lässt sich in Berlin bestens befriedigen.

Tempo ist kein Qualitätskriterium. Ein Filmfest ist keine Automesse, hier gilt’s der Kunst. Die Berlinale in ihrer Doppelfunktion als erfolgreiches Publikumsfestival und als Kunstschau in Konkurrenz mit Cannes und Venedig muss dabei einen Spagat bewältigen, der den anderen als Fachpublikumsfestivals erspart bleibt. Dieser Spagat kann man ehesten gelingen, wenn sich Berlin als Wettbewerb der Entdeckungen profiliert, noch mutiger als bisher. Wenn ein Film seinen Erfolgsweg vom Potsdamer Platz in die Welt startet, wie 2011 „Nader und Sidin“ aus dem Iran oder 2004 Fatih Akins „Gegen die Wand“. Davon bitte mehr: Roter Teppich für die Stars von morgen! Und die Stars von heute, wenn sie in mittelmäßigen Streifen spielen, kommen außer Konkurrenz nach Berlin.

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