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Blinken scheint in Berlin zu einer aussterbenden Tugend zu gehören. Genauso wie anderes verantwortungsvolles Verhalten.

© dpa

Berliner Egomanen: Benutzt den Blinker, wenn ihr Bürger seid!

Die Berliner kümmern sich einen Dreck um die Gemeinschaft. Deshalb ist es richtig, wenn staatliche Stellen Fehlverhalten bestrafen, meint Frederik Hanssen. Denn wer so wenig an andere denkt, bei dem hilft auch gutes Zureden nicht.

Die Bezirksverordnetenversammlung in Mitte hat vor einigen Wochen ein Grillverbot für den Tiergarten beschlossen? Na, endlich! 35 Euro Bußgeld für Hundebesitzer, die den Kot ihrer Köter nicht einsammeln? Die Summe müsste viel höher sein! Drakonische Strafen für Steuersünder und korrupte Beamte, für Busspurblockierer und Hauswandbeschmierer!

Wenn staatliche Stellen den Bürgern Dinge verbieten und sie für Fehlverhalten bestrafen, tun sie das ja nicht aus Jux und Dollerei. Sondern aus der ernüchternden Erkenntnis heraus, dass sich ein Großteil der Berliner einen Dreck um die res publica schert, also um die öffentliche Sache. In der Demokratie, so steht es jedenfalls im Grundgesetz, haben alle dieselben Rechte. Und Pflichten.

Dazu gehört, nach einem gemütlichen Grillnachmittag im Kreis der multikulturellen Patchworkfamilie die eigenen Abfälle zu entsorgen. Leider aber bleiben pro Jahr im Tiergarten 300.000 Kilo Müll liegen. An schönen Sommertagen sind 15 Mitarbeiter des Grünflächenamts damit beschäftigt, die Freizeit-Hinterlassenschaften der ach so entspannten Hauptstädter einzusammeln. Kostenpunkt für den Steuerzahler: mehr als eine Viertelmillion Euro. Die wird jetzt eben direkt bei den Verursachern kassiert. Cash auf dem Rasen.

Bitte hinterlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorfinden möchten – den Spruch kennt jeder von Gemeinschaftstoiletten. Warum gibt es dennoch in allen Büros Leute, die die Klobürste nicht benutzen, die ihre leeren Kaffeetassen überall herumstehen lassen? Welcher Idiot räumt zu Hause hinter denen auf?

Im direkten Arbeitsumfeld kann man die Betreffenden direkt zur Rede stellen. Im öffentlichen Raum bleibt nur das erzieherische Mittel des Bußgeldes. Wer so wenig an andere denkt, bei dem hilft auch gutes Zureden nicht. Er tritt ja schließlich nicht selbst in den Hundehaufen seines Vierbeiners.

Seit Jahrhunderten träumen Staatsphilosophen von der funktionierenden Bürgergesellschaft. Von einer Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die ihre individuellen Bedürfnisse zum Wohle der Allgemeinheit gerne auch mal hintanstellen. Weil sie ihren Nächsten so sehr lieben wie sich selber.

Bernd Schultz, der Gründer des Auktionshauses Villa Grisebach, erzählt gerne eine Anekdote aus dem Jahr 1981, als Richard von Weizsäcker gerade Regierender Bürgermeister geworden war. „Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal mit Marianne von Weizsäcker über den Kurfürstendamm gehe und sie ein Stück Pappe aufhebt und zum Papierkorb bringt. Da sage ich: ,Aber, Frau von Weizsäcker!’ Und sie antwortet: ,Na, ich bin doch für diese Stadt verantwortlich.’“

Verantwortungsbewusstsein ist der Schlüssel zur Bürgerlichkeit. Nicht irgendwelche Etikette-Fragen aus dem Knigge. Nicht Benimm- und Anstandsregeln. Und auch nicht die sogenannten preußischen Tugenden à la „Lerne leiden, ohne zu klagen“. Nachdenken, mitdenken, vordenken lautet die Losung für den wahren Republikaner. Der Staat bin ich. Mag er privat nach Geld und Macht streben, jenseits der eigenen vier Wände verhält er sich umsichtig.

Er benutzt beispielsweise den Blinker, wenn er im Auto sitzt. Ihm selber nützt die leuchtende gelbe Lampe nichts, wenn er einen Parkplatz sucht. Aber er ist sich ihrer externen Wirkung bewusst. Als Warnzeichen für andere Verkehrsteilnehmer: Achtung, ich werde mich gleich anders verhalten, als zu erwarten.

Wer regelmäßig auf den Berliner Straßen unterwegs ist, weiß, dass sich kaum noch jemand an diese zutiefst bürgerliche Funktion des hilfreichen Hebels erinnert. Lauter Egomanen am Steuer: Beim Lenken will ich an mich nur denken. Je teurer der Wagen, desto geringer offenbar die Bedienungskompetenz.

Die bittere Erkenntnis lautet, dass bürgerliches Verhalten in den bürgerlichen Vierteln der Stadt nicht automatisch häufiger anzutreffen ist.

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