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Berliner Wetter: Die Stadt und das Eis

Stolpernd und rutschend richtet sich Berlin in einer gefährlichen Unwirtlichkeit ein. Hermann Rudolph über ein öffentliches Berliner Großärgernis.

Suchen wir nicht immer das große Stadtgespräch, dieses die Bürger verbindende Medium einer Metropole? Im Moment haben wir eins. Nur dass es die Öffentlichkeit sozusagen nicht erreicht, sondern im Aggregatzustand des Privaten bleibt, nämlich: Erregung, Verärgerung, Wut. Denn es ist einmal nicht die vor sich hinstrauchelnde Koalition im Bund oder das Unglücksvehikel S-Bahn. Es ist – viel näher, viel konkreter – die Frage, ob es denn wirklich sein kann, dass diese Stadt und ihre Bürger keinen Weg finden, mit den Folgen dieses Winters, also mit ihren vereisten Gehwegen und verkrusteten Straßen fertig zu werden? Kurz: Was muss geschehen, damit etwas geschieht?

Seit Wochen ist so ziemlich jeder Weg in der Stadt, durch die Stadt ein Wagnis, und inzwischen kennt fast jeder jemanden, der gestürzt ist oder sonst zu Schaden gekommen ist. Es sind ja nicht nur die Gehwege, glatt oder voll von Streusandresten. Auf den Nebenstraßen haben sich gefährliche Spurrillen und an den Rändern Eisbänke gebildet, die das Parken zum Abenteuer machen. Und selbst der Versuch, durch die dort stehenden Wagen auf die Straße zu gelangen, um etwa in ein Taxi einzusteigen, wird zu einer Angstpartie.

Inzwischen hat dieses Stadtgespräch eine gefährliche Stufe erreicht: einen beträchtlichen Grad an Fatalismus. Niemand erwartet mehr, dass jemand ernstlich versucht, diesem Zustand beizukommen. Keiner glaubt, dass irgendwo darüber nachgedacht wird – zumal, zugegeben, die Abhilfe jetzt schwer ist, nachdem versäumt worden war, den Anfängen zu wehren. Vielmehr bleibt der Schluss: Berlin, die Hauptstadt, die Kulturmetropole, das Sammelbecken für die Kreativen, ist eben unfähig, diesem praktischen Problem abzuhelfen. Stolpernd und rutschend richtet sich die Stadt ein in einer grau-verkrusteten Unwirtlichkeit – sie ist damit das glatte Gegenstück jener Urbanität, auf die sich Berlin so viel zugute hält.

Gewiss, es mag anderswo nicht viel besser sein. Aber das ändert nichts daran, dass der Zustand der Stadt längst den Tatbestand des Ärgernisses überschritten hat. Auch kann man das Problem nicht an die BSR abschieben, die leistet, was sie leisten kann, und für die Gehwege – man lernt hinzu – nicht zuständig ist. Eher müssten sich Zorn und Erregung an Hausbesitzer und Hausmeister und auf jene rechtliche Regelung richten, die den gegenwärtigen Zustand möglich macht. Vor allem aber müssen sich die Stadt und wir, ihre Bürger, in Erinnerung rufen, dass der öffentliche Raum ein hohes Gut ist. Berlin pflegt ihn ohnedies nicht sehr, aber in diesem Winter lässt die Stadt zu, dass mit ihm sträflich fahrlässig umgegangen wird. Fast ist es so, als gäbe die Stadt sich auf – an einem Punkt, der nicht alles, der aber doch nicht unwichtig für ihr Selbstbewusstsein ist.

In Hamburg gab es, immerhin, am Montag eine Krisensitzung. In der Tat: Wenn derart offenkundig ist wie in Berlin, dass es so nicht geht, wie es im Moment geht, dann ist es hohe Zeit, zu fragen, wie es denn gehen kann – im Senat, im Abgeordnetenhaus, in den Bezirken, überall. Und, bitte, nicht zuerst nach den Verantwortlichkeiten fragen. Denn es kommt darauf an, dass möglichst viele sich verantwortlich fühlen – Politiker, Hausbesitzer, Verwaltungen, ob sie die einschlägigen Verordnungen nun dazu verpflichten oder nicht.

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