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Meinung: Berlins Bielefeldisierung

Von Axel Vornbäumen

Nichts Böses über die Toten – geschenkt. Aber ein bisschen Häme für die Halbtoten darf schon sein, nicht wahr? Kein Mitleid mit Hoeneß, keins mit Götz, und das nicht etwa aus Wut über ein vergeigtes Spiel gegen den Tabellenletzten. So was passiert. Nein, weil es ernst ist: Ein Hauptstadtverein, der Hauptstadtverein, geht gerade vor die Hunde, findet sich ab mit der Nischengesellschaft der Mittelmäßigen. Hoeneß, Götz, sie betreiben die Bielefeldisierung des Berliner Fußballs – aber außer ein paar professionell damit Beschäftigte und einige, deren Herz nichts Besseres gefunden hat, an das es sich hätte hängen können, regt’s in der Stadt wenige auf. Das Thema macht Schlagzeilen, geht aber nicht unter die Haut. Mehr Tristesse ist nirgendwo in den Kapitalen von Fußball-Kerneuropa – nicht in Rom, nicht in Paris, schon gar nicht in London oder Madrid.

Und Berlin? Sucht doch stets nach seiner Identität; ist gerade mal wieder am Trauern. Nur dass die Stadt es vorzieht, entweder über den Abriss des Palastes der Republik (Ost) oder vorbeugend wegen der Abkopplung des Bahnhofs Zoo vom ICE-Netz (West) zu klagen. Wichtige Themen, der „Tagesspiegel“ hat ihnen gestern den besten Platz im Feuilleton gewidmet. Doch über Hertha lohnt die Trauerarbeit nicht. Fahrlässig hat es der Verein in der Vergangenheit versäumt, sich um die Identität Berlins zu kümmern, respektive eine eigene zu schaffen. Das rächt sich nun. Ein koksender Trainer in einer Stadt mit schwulem Bürgermeister, das hätte gepasst, vielleicht – haben sich die Biedermänner in Herthas Vorstandsetage jemals an einen derartigen Gedanken gewagt? Kreuzbergs Türken, keine Klientel? Die illegalen Russen in Friedrichshain – wetten die wenigstens auf den nächsten Platzverweis? Vermutlich nicht. Die Intellektuellen. Das Bürgertum. Das alte West-Berlin. Es gibt keine Gruppe, die der Verein eng an sich hätte binden können. Für wen aber soll die Mannschaft dann siegen? Hertha ist kein Muss. In Berlin kann samstags Papi getrost der Familie gehören. Man ist kein halber Mensch, nur weil man nicht im Stadion war. Berlin hätte einen besseren Fußballclub verdient.

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