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Tafelbild mit Ruhe. Eine Lehrerin erklärt Prinzipien der deutschen Sprache.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berlins Schulen: In der Ruhe liegt die Kraft

Die vielen Schulreformen der letzten Jahre haben einen Tribut gefordert: dauerkranke Lehrer, Rückläuferklassen, Stress im Turboabi. Und doch: Berlin hat viel gewagt und viel gewonnen. Jetzt gilt es, das Erreichte abzusichern.

Was für ein Hochgefühl am ersten Morgen der großen Ferien! Kein Weckerklingeln um halb sieben, kein Stau im Bad, kein Geschrei über nicht gemachte Hausaufgaben. Einfach nichts. Nur der Gedanke, schon mal die Koffer vom Dachboden holen zu können. So schön können große Ferien sein. Aber auch so bitter nötig. Im siebten Jahr der großen Reformen sind Berlins Lehrer so kaputt wie selten zuvor, und auch vielen Eltern und Schülern ist die Luft ausgegangen. Sie sind müde. Reformmüde.

Die große Koalition, die die Stadt regiert, hat darum einen Schulfrieden verkündet, und sie will ihn auch halten. Aber es wird noch Jahre dauern, bevor die ganze Reformsuppe in Gänze ausgelöffelt ist. Ruhe ist an Berlins Schulen deshalb weiterhin nicht in Sicht.

Die Leidtragenden können besichtigt werden. Es sind die 1550 dauerkranken Lehrer – eine Rekordzahl. Es sind die überforderten Schüler des auf zwölf Jahre verkürzten Turboabiturs. Es sind die 750 Siebtklässler, die das Probejahr an den Gymnasien nicht schafften und nun zumeist in die gefürchteten Rückläuferklassen gepfercht werden; als habe es noch nicht ausgereicht, dass ihr Jahrgang die Versuchskaninchen für die Früheinschulung und vieles andere stellte.

Und doch. Berlin hat viel gewagt und viel gewonnen. Die neuen Sekundarschulen haben die ersten Hürden genommen und die Stadt fast vergessen lassen, dass ihnen noch die Hauptschulen in den Knochen stecken. Die Gymnasien sind den verkürzten Weg zum Abitur überwiegend erfolgreich gegangen und dafür mit großartigen Ergebnissen belohnt worden. Die Grundschulen sind methodisch so weit wie nie zuvor. Die Oberstufenzentren sind selbstbewusste und moderne Partner der Schulen geworden. Und Berlin lässt zumindest mit der Vielfalt seiner besonderen Schulen und seiner Ganztagsangebote den Rest Deutschlands weit hinter sich.

Jetzt gilt es, das Erreichte abzusichern. Es gilt aber auch, das Verpasste anzugehen. Zu Letzterem gehört die Einsicht, dass es nicht länger hinnehmbar ist, wenn die im Schnitt ältesten Lehrer der Republik als Einzige die volle Stundenzahl unterrichten müssen. Dazu gehört, dass schwache Schulleiter Verstärkung bekommen und annehmen müssen, wenn sie auf ihren Posten jahrzehntelang bleiben wollen. Dazu gehört, dass die allerschwächsten Schüler nicht auf das Gymnasium gehören, wo sie doch nur dem Scheitern preisgegeben werden. Dazu gehört, dass miese Schulen mit erfolgreichen fusionieren oder jedenfalls kooperieren sollten. Das alles wäre ein Beitrag zu einem wirklichen Schulfrieden, der Lehrern und Schülern gleichermaßen nützen könnte.

Wunder sind sicher nicht zu erwarten. Denn Berlin ist nicht Bayern und wird es sobald auch nicht werden. Zu schwach ist die Wirtschaft und zu groß ist die Masse jener, die nicht mithalten können oder wollen. Der Leistungsgedanke wohnt anderswo. Das zeigt sich in allen Pisastudien dieser Welt.

Auch deshalb haben es die Lehrer in Berlin schwerer. Tausende von ihnen unterrichten an Schulen, an denen kaum noch ein Elternteil Arbeit hat. Tausende arbeiten in Gegenden, in denen sogar jedes dritte deutschstämmige Kind den Deutschtest vermasselt. Deshalb sind die Lehrer müde.

Aber jetzt sind Ferien. Kein Weckerklingeln um halb sieben. Kein Kindergeschrei. Kein Stau im Bad. Stattdessen Koffer packen. Oder auch da bleiben. Hauptsache: Abschalten!

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