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Alltag für die Menschen in Hebron: Checkpoints, Schikanen, Angst.

© dpa

Besatzungsmacht Israel: Hebron - die Fieberkurve des Nahostkonfliktes

Israel betreibt eine "Politik der Trennung", schreibt die ehemalige Soldatin Dana Golan und erinnert sich an ihren Einsatz in der besetzten Stadt Hebron. Ein Gastbeitrag.

Am 25. Februar 1994 drang Baruch Goldstein, ein jüdischer Siedler aus Kirjat Arba, in die Machpela-Höhle in Hebron ein und begann, in der zur Gebetszeit voll besetzten Moschee um sich zu schießen. Ich war fast elf Jahre alt, als in den Nachrichten von einem jüdischen Mörder berichtet wurde, der 29 Palästinenser getötet und mehr als hundert verletzt hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir klar, dass ich begriff, dass ein Terrorist auch aus meiner Gesellschaft kommen kann.

Bei meinem ersten Aufenthalt in Hebron war ich bereits achtzehneinhalb Jahre alt. Ich kam als Soldatin in Uniform. Vom Fenster meines Zimmers in der Kaserne in der Siedlung Kirjat Arba konnte ich den Park sehen, der nach Meïr Kahane benannt worden war (Rabbiner und Führer der Kach-Partei, die aufgrund rassistischer Standpunkte nicht zu den Wahlen zur Knesset zugelassen wurde, 1990 von einem Muslim in New York ermordet). In demselben Park hatte der Mörder Goldstein ein Heldengrab erhalten.

Es war die Zeit der frühen 2000er Jahre und die Zweite Intifada erreichte gerade ihren Höhepunkt erreicht. Die Israelische Verteidigungsarmee hatte mich mit dem Auftrag in die Stadt gesendet, die dort stationierten Soldaten in dem ethischen Kodex der Armee und in Menschenrechtsfragen zu unterweisen. Voller Motivation und Naivität kam ich an einen Ort, den ich bis dahin nur aus Nachrichten kannte. Sehr schnell jedoch musste ich feststellen, dass all dasjenige, was ich bisher über den Konflikt und die Besatzung gelernt hatte, mich nicht auch nur ansatzweise auf die Realität in Hebron vorbereitet hatte. Schlagwörter wie die „Reinheit der Waffen“ und „Menschenrechte“ klangen angesichts der täglichen Vorkommnisse hohl und inhaltsleer.

In Hebron lernte ich, was es bedeutet, eine Militärherrschaft über eine Zivilbevölkerung aufzubauen. Ich lernte, was eine Besatzung ist.

In Hebron kann man die Fieberkurve des Konfliktes ablesen

Nach dem Massaker in der Machpela-Höhle im Jahr 1994 begann die Israelische Verteidigungsarmee, im Stadtzentrum Hebrons eine konsequente Politik der Trennung einzuführen. Die Hauptstraßen wurden für den palästinensischen Autoverkehr und teilweise sogar für palästinensische Fußgänger gesperrt. Rund 1800 palästinensische Geschäfte wurden zum Teil auf Grundlage von militärischen Befehlen geschlossen und versiegelt. Diese Trennungspolitik in Verbindung mit ständigen Aggressionen von jüdischen Siedlern zwang mehr als tausend palästinensische Familien, ihre Wohnungen im Innenstadtbereich aufzugeben. Das vormals belebte Zentrum der größten palästinensischen Stadt im Westjordanland verwandelte sich in wenigen Monaten in eine Geisterstadt.

Wer heute immer noch glaubt, dass die jüdischen Siedler in der Stadt seither den größten Preis für die Brutalität Baruch Goldsteins gezahlt hätten, kann Hebron während der letzten zwanzig Jahre nicht besucht haben. Die Trennungspolitik, die sich längst von den Straßen Hebrons auf viele andere Orte im Westjordanland ausgedehnt hat, ist zu einem wesentlichen Bestandteil der Militärherrschaft über die Palästinenser geworden. Hebron, die Stadt, in der man die Fieberkurve des Nahost-Konfliktes immer am deutlichsten spüren kann, erzählt die ganze Geschichte der israelischen Besatzung.

Während meines Militärdienstes in Hebron wurde mir ganz unabsichtlich beigebracht, dass es offenbar Menschen gibt, die mehr wert sind, und dass es solche gibt, die weniger wert sind. So war auch unbestreitbar, dass aus Sicht der Besatzungsmacht mein eigenes Leben mehr wert war als das der Palästinenser. Zugleich aber musste ich lernen, dass der Feind, auf den man mich all die Jahre vorbereitet hatte, nicht nur ein terroristischer Kämpfer ist, sondern auch die alte siebzigjährige Frau, die auf ihrem Weg zum Markt drei Checkpoints passieren muss. Der Feind ist das kleine Kind, das mich aus einer Ecke im Zimmer anblickt, während ich seine Mutter im Zuge einer Hausdurchsuchung ausziehe, um sicherzustellen, dass sie keine Waffe in ihrer Kleidung verbirgt.

Neue Siedlungen im Herzen Hebrons

Ultra-orthodoxe Siedler in Hebron werden von israelischen Soldaten beschützt, egal was sie tun.
Ultra-orthodoxe Siedler in Hebron werden von israelischen Soldaten beschützt, egal was sie tun.

© dpa

In Hebron lernte ich, dass es nicht selten unsere Aufgabe war, die Palästinenser vor der Brutalität der israelischen Siedler zu schützen und nicht umgekehrt. Ich lernte, dass der Mörder Goldstein nicht alles andere als ein untypischer Fundamentalist war. Und ich lernte, wie das von ihm verübte Massaker in Verbindung mit der alltäglichen israelischen Besatzung das Leben in dieser Stadt bis heute beeinflusst.

Letzten April hat der Verteidigungsminister, Bugi Ja’alon, die Errichtung einer neuen Siedlung im Herzen Hebrons genehmigt. Während der amerikanische Außenminister Kerry sich unermüdlich dafür einsetzte, die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern voranzubringen und das offizielle Israel seinen aufrichtigen Wunsch nach wirklichem Frieden erklärte, sprachen die Tatsachen vor Ort für sich. In Hebron und an anderen Orten des Westjordanlandes geht der Siedlungsbau weiter.

Zum ersten Mal seit dreißig Jahren und symbolträchtigerweise in dem Monat, in dem die Niederlassung der Siedler in Hebron auf volle 47 Jahre zurückblicken konnte, gab die israelische Regierung die Genehmigung, die jüdische Siedlung in der Stadt zu erweitern und stellte die Ausdehnung der Einschränkungen für die Palästinenser auf weitere Gebiete sicher. Im vergangenen Jahr begann die Regierung auch ein Projekt archäologischer Ausgrabungen mitten in dem Viertel Tel Rumeida im Stadtzentrum. Für sieben Millionen Shekel wird, mit Ermutigung und Druck von Seiten der Siedler der jüdischen Niederlassung in Hebron, ein archäologischer Park errichtet, der ausdrücklich als nicht-politisch deklariert wird. Als handle es sich nicht um besetztes Gebiet und nicht um palästinensisches Gebiet. Als wäre nicht alles in Hebron politisch.

Die Besatzung gräbt sich weiter vor

An Hebron wird Israel gemessen. An diesem Ort zeigt sich als Erstes sein Wille zur Beendigung der Besatzung – oder eben zu deren Fortsetzung. Im Jahr 2015 dehnt sich die Siedlung weiter aus, das Stadtzentrum Hebrons hat keine palästinensischen Geschäfte und Märkte, und hunderte Soldaten werden weiter als Garantie der israelischen Herrschaft dorthin geschickt. In den 21 Jahren, die seit dem Massaker in der Machpela-Höhle vergangen sind, haben wir von Führungspersönlichkeiten und Politikern von allen möglichen direkten Verhandlungen, indirekten Verhandlungen und Friedensinitiativen gehört.

Inzwischen wurde die Besatzung vor Ort nur noch tiefgreifender, und sie zerstört weiterhin beständig jede potentielle Grundlage für eine wirkliche Änderung und ein Leben in Gleichheit und Ehre zwischen Israelis und Palästinensern. Jeder, dem das Wohl beider Völker am Herzen liegt, muss der rassistischen Trennungspolitik in Hebron widersprechen. In Hebron entscheidet sich, ob es Hoffnung auf ein Ende des Nahostkonfliktes geben kann.

Dana Golan diente in Hebron in den Jahren 2001-2002 und beendete ihren Dienst in der Israelischen Verteidigungsarmee mit dem Rang eines Oberleutnants. Von 2009 bis 2013 war sie Direktorin von „Breaking the Silence“, eine Organisation ehemaliger Soldaten der Israelischen Armee, die über Missstände der Besatzung aufklären wollen.

Dana Golan

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