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Das Beschneidungsurteil aus Köln ist das Ergebnis einer Güterabwägung, die immer wieder aufs Neue vorgenommen werden muss.

© dpa

Beschneidungsdebatte: Wer das Wohl des Kindes will

Die Beschneidungsdebatte führt der aufgeklärten Gesellschaft vor Augen, was sie längst ausgeblendet hat. Die Religionen sind ihr fremd geworden. Doch statt sich abzuwenden, sollte sie gerade jetzt für ihre Ideale einstehen.

Die erste kleine Strafkammer des Kölner Landgerichts hat sich wohl kaum vorher ausgemalt, welche Erregung ihr Urteil zur Beschneidung eines muslimischen Jungen in der Gesellschaft auslösen würde. Für viele Menschen rührt der in islamischen und jüdischen Familien weltweit übliche Ritus plötzlich an die Grundfesten der Aufklärung. Selbst ansonsten besonnene Geister nennen die Knaben-Beschneidung „archaisch“ oder gar „barbarisch“ und argwöhnen lebenslange „Traumata“.

Juden und Muslimen begegnet in solchen Äußerungen eine sonderbare Selbstgerechtigkeit. Denn eine säkulare Gesellschaft scheint sich mit viel Emphase, doch eher wenig Empathie ihrer aufgeklärten Humanität völlig gewiss zu sein. Dagegen hat das Kölner Gericht in seinem durchaus skrupulösen Urteil gesagt, dass die „Frage der Rechtmäßigkeit von Knabenbeschneidungen aufgrund Einwilligung der Eltern“ von Justiz und Wissenschaft sehr „unterschiedlich beantwortet“ wird. Wobei nur eines unstrittig ist: Eine Beschneidung gilt in jedem Fall als Körperverletzung.

Die Strafbarkeit ergibt sich freilich erst aus einer Rechtsgüterabwägung. Es geht zunächst um die Persönlichkeitsrechte des Kindes. Wer beispielsweise in den Debatten um die medizinische Verwertung von embryonalen Stammzellen sagt, eine frühe Zellsubstanz sei bereits Träger der grundgesetzlichen Menschenwürde, wird es schwer haben, den Körper eines geborenes Kind nicht absolut zu schützen. Da geraten gerade Konservative und Grüne, die jetzt die Beschneidung bei Juden und Muslimen unbedingt gestatten wollen, in Erklärungsnöte.

Video: "Die Beschneidung gehört zur islamischen Identität"

Schwierig wird es auch, allein mit der Religionsfreiheit zu argumentieren, weil die ein Kleinkind sowieso noch nicht wahrzunehmen vermag. Und: Wer das Universum als göttliche Schöpfung betrachtet und dann auf die alttestamentarische Bedeutung von einem Stückchen männlicher Vorhaut blickt, den kann schon das Gefühl einer womöglich absurden Diskrepanz beschleichen. Doch ist das – ähnlich etwa wie Zweifel am katholischen Dogma der Jungfrauengeburt – ein Gedanke, der den wirklich Gläubigen nicht erreicht und die Bedeutung des Symbolischen verkennt.

Video: So denken die Berliner über Beschneidungen:

Der Rechtsstaat gründet auf der Unverletzlichkeit der Menschenrechte, zumindest in ihrem Kern. Keine Religion gebietet sie, aber selbst wenn sie es geböte, wäre darum die Genitalbeschneidung von Frauen niemals zulässig: weil sie eine eigenständige sexuelle Existenz verstümmelt oder vernichtet. Damit lässt sich die aus mancherlei Gründen auch außerhalb von jüdischen oder muslimischen Familien verbreitete Knabenbeschneidung nicht vergleichen. Diese allerdings gehört für jüdische und muslimische Eltern zum Kern ihrer familiären, religiösen und allgemein kulturellen Identität. Eine Identität, aus der auch das Kind erwächst.

Seriös ist die Nichtstrafbarkeit der Knaben-Beschneidung also dann, wenn gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes ein hier überwiegendes Elternrecht angenommen wird. Ein Recht der Fürsorge, die eine frühe Aufnahme und Geborgenheit in der Familie und Gemeinschaft anstrebt. Auch als Beschnittener kann ein mündiger Jude oder Muslim später diese Gemeinschaft wieder verlassen, doch ist das der zweite, nicht der erste Schritt und Schnitt. Wer so das Elternrecht betont, der darf indes auch an die Pflichten gemahnen. Zum Wohl des Kindes gehören dann umso mehr Bildung und Ausbildung – zu einem freien, selbstbestimmten Menschen.

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