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Meinung: Beten oder abschalten

Terroristische Bedrohung und Reaktorsicherheit

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die am Wochenende durchgesickerten Details einer vertraulichen Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) klingen alarmierend: Terroristen könnten durch den gezielten Absturz eines Verkehrsflugzeuges einen Super-GAU von den Ausmaßen der Tschernobyl-Katastrophe auslösen. Einige Hunderttausend Verstrahlte, Tausende Schwerverletzte, Hunderte Tote und über Jahre verseuchte Regionen wären die Folge – und das mitten in Deutschland. Der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, Wolfram König (Bündnis 90/Grüne), fordert deshalb die vorzeitige Abschaltung von fünf als besonders gefährdet eingestuften Kernkraftwerken. Die Betreiber hingegen sprechen dem Nichtfachmann und bekennenden Atomgegner die Kompetenz ab und wittern eine gezielte Kampagne.

Von den 18 deutschen Kernkraftwerken sind nur 10 gegen Abstürze von Kampfflugzeugen des Typs Phantom gesichert, drei gegen den kleineren Starfighter. Fünf ältere Atommeiler (Biblis A, Obrigheim, Isar 1, Philippsburg 1) haben überhaupt keinen derartigen Schutz. Sie wurden bisher als Restrisiko in Kauf genommen – über den Reaktoren besteht Flugverbot, zudem können Kampfpiloten einen Absturz auf gefährdete Objekte meistens verhindern.

Seit dem 11. September 2001 sind jedoch auch Szenarien realistisch, mit denen bei der Planung der deutschen AKWs niemand gerechnet hat. Bei einem Jumbo-Jet wiegt jedes Triebwerk so viel wie die ganze Phantom (20 Tonnen), mehr als ein Viertel der 400 Tonnen Startgewicht des Luftelefanten ist Kerosin. Die GRS-Fachleute rechnen in ihrem Bericht vor, dass ein Jumbo-Volltreffer mit 630 Stundenkilometern und anschließendem Flammeninferno im Sicherheitsbehälter selbst bei den am besten geschützten AKWs einen Super-GAU zur Folge hätte.

Auch die doppelten und dreifachen Sicherheitssysteme von Kernkraftwerken berücksichtigen nur vorher definierte, vorhersehbare Störfälle. Wenn eine Kühlwasserpumpe ausfällt, springt sofort die Ersatzpumpe an. Wenn der ganze Kühlkreislauf versagt, gibt es ein unabhängiges Reservesystem. Wenn das auch noch zusammenbricht, schiebt die „Reaktorschnellabschaltung“ in sekundenschnelle Steuerstäbe zwischen das radioaktive Material und unterbricht damit die Kettenreaktion. Wenn auch die RESA versagt, flutet ein Notsystem den Reaktorkern mit Borsäure und macht der Teufelsmaschine auf diese Weise den Garaus. Deshalb kann der Super-Gau, eine Überhitzung und Kernschmelze wie in Tschernobyl, eigentlich nicht passieren.

Der Einschlag eines Passagierflugzeuges war jedoch nicht vorhergesehen. Er könnte bereits durch die Erschütterung mehrere Sicherheitssysteme gleichzeitig lahm legen, gleiches gilt für das brennende Kerosin. Selbst eine erfolgreiche Notabschaltung bringt keine Rettung: Weil das radioaktive Material auch im abgeschalteten Reaktor eine „Nachzerfallswärme“ von drei bis fünf Prozent der Vollleistung erzeugt, kann ein großes Leck im Kühlwassersystem auch dann noch zur Kernschmelze führen.

Jedoch sind diese Horrorszenarien nur bei den ungeschützten Kernkraftwerken wahrscheinlich. Bei den zehn gegen die Phantom geschützten AKWs ist dazu ein Volltreffer eines sehr großen Flugzeugs mit sehr hoher Geschwindigkeit nötig. Unter diesen Bedingungen treffen selbst geübte Piloten im Simulator ein Objekt am Boden kaum mit der erforderlichen Zielgenauigkeit von etwa 30 Metern, wegen des gleichzeitigen Sinkflugs ist das Manöver weit schwieriger als der Anflug auf ein Hochhaus. Gerade weil dieses Restrisiko vertretbar ist, muss die Politik jedoch bei den schlecht geschützten Atommeilern handeln – zumal die Gebrauchsanweisung für den Super-GAU seit dem Wochenende kein Geheimnis mehr ist.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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