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Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner.

© dapd

Bildung in Berlin: Härtefall Zöllner

Die Zweifel wachsen, ob der einst hochgelobt nach Berlin gekommene Bildungssenator Jürgen Zöllner noch spürt, was im unentwegten Reformbetrieb die Eltern bedrückt. Ruhe ins Bildungssystem zu bringen, ist ihm bislang nicht gelungen. Ein Kommentar.

Es geht um Härtefälle. Zwillinge etwa, die in Berlin auf eine Oberschule wechseln wollen, sind keine, sagt die Landesregierung; zumutbar sei, dass Zwillinge auf getrennte Schulen gehen. Es gilt auch nicht die Grundschulregel, dass Kinder bevorzugt werden, wenn Geschwister bereits an der Schule sind. „Wesentlich gerechter als vorher“, nennt Bildungssenator Jürgen Zöllner, was bei Familien wie selten zuvor bange Erwartungen und übelste Befürchtungen auslöst.

Dabei haben neue Aufnahmekriterien durchaus Sinn. Schließlich hat es in der Vergangenheit darüber massiv Streit gegeben. Es ist ein Fortschritt, dass nicht mehr die Zahl der Bushaltestellen darüber entscheidet, welches Gymnasium ein Kind besuchen darf. Scheinanmeldungen in Schulnähe haben damit ebenso ein Ende wie Spitzeleien enttäuschter Eltern, wer ihrem Kind mit falscher Adresse den Platz weggeschnappt hat. Formal, so der kühl sezierende Senator Zöllner, wird damit dem Elternwillen Genüge getan. In der Lebenswirklichkeit aber wird der Kampf um die Plätze erst richtig verschärft. Denn es sind gerade die hervorragenden Schulen der Stadt, an denen die Nachfrage noch einmal zunehmen wird. Klagen gegen die ablehnenden Bescheide sind sicher. Eltern mit Anwälten werden sich gegen Eltern ohne Anwälte durchsetzen – gerecht und transparent wird das niemand nennen können.

Dass mit neuen Regeln neue Probleme entstehen, war auch an anderer Stelle absehbar – weil nun etwa die Noten entscheidende Bedeutung bekommen. Einheitliche Regeln für die Benotung aber gibt es in der Grundschule nicht – was in einer Schule nur als befriedigende Leistung gilt, ist woanders eine Eins wert. So fühlen sich gerade Eltern benachteiligt, deren Kinder an leistungsorientierten Grundschulen lernen. Der Bildungssenator lehnt es dennoch weiterhin ab, einheitliche Benotungskriterien zu erlassen. Lehrer bekommen deswegen den zunehmenden Druck zu spüren, in der sechsten Klasse möglichst gute Noten zu geben. Ob Kinder auf grundständige Gymnasien geschickt werden, um der Bildungslotterie zu entgehen, oder gleich auf Privatschulen, wird sich zeigen.

Zehntausende Eltern werden in den nächsten Wochen eine anschwellende Verzweiflung über ein undurchschaubares und nicht beeinflussbares Verfahren erleben. Wer begehrte Wunschschulen ankreuzt und beim Losverfahren leer ausgeht, dessen Kind könnte auf einer vorher nie in Erwägung gezogenen Schule landen. Wie sehr Kinder dies als demoralisierende Niederlage zum Start in die Oberschule empfinden, können alle Eltern nachvollziehen. Es nun den Schulen zu überlassen, mit einer speziellen Profilbildung die qualifiziertesten Kinder auszuwählen, um ein Losverfahren zu vermeiden, ist unbefriedigend.

Woher soll das Vertrauen in die Berliner Schule wachsen, wenn seit Jahren zwischen der Vielzahl von Reformen und den tatsächlichen Qualitätsverbesserungen eine riesige Diskrepanz besteht? Der Bildungssenator hat zugegeben, dass es mit der Lehrerversorgung in Berlin in diesem Schuljahr nicht gut gelaufen ist. Ehrliche Politiker mag man sympathisch finden, angesichts dessen, dass genau über fehlende Lehrer am Beginn des Schuljahrs viel diskutiert wurde, ist es ein Armutszeugnis. Und da soll es nun mit den Aufnahmekriterien reibungslos klappen?

Der Bildungssenator wird nicht sagen können, er sei nicht gewarnt gewesen. Das gilt auch für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Es geht hier nicht um die bildungsferne Familien, sondern um die Mitte der Gesellschaft, wo Eltern genau wissen, wie wichtig gute Bildung für den Lebensweg ist. Eltern wollen Verlässlichkeit und fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Die Zweifel wachsen, ob der einst hochgelobt nach Berlin gekommene, schon mit der Wissenschaft schwer ausgelastete Supersenator Zöllner noch spürt, was im unentwegten Reformbetrieb die Eltern bedrückt. Ruhe ins Bildungssystem zu bringen, ist ihm nicht gelungen. Im Wahljahr wird die Unruhe noch wachsen. Für den Regierenden Bürgermeister könnte Jürgen Zöllner durchaus ein Härtefall werden.

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