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Kinder brauchen ein nahes Netz von verantwortlichen Menschen.

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Bildungschip: Nichts als ein Bluff

Statt einen Bildungschip als die neue Bildungsoffensive auszugeben, muss von der Regierung das Existenzminimum von Kindern definiert werden und als Geld und Sachleistungen in die Familien gehen. Alles andere ist ein Bluff.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will nicht darüber spekulieren, in welcher Höhe das Existenzminimum für Kinder liegen könnte, das Karlsruhe bis Ende des Jahres gefordert hat. Umso forscher ist ihre Ideenproduktion für den Transportweg der geforderten kulturellen und Bildungsteilhabe. Nun also der Bildungschip, irgendwann sogar, damit die CSU nicht über Diskriminierung meckern kann, für jedes Kind. Die Zeit ist knapp, um Kosten und infrastrukturelle Voraussetzungen noch rechtzeitig zu regeln.

Als verbindlich kann bisher nur von der Leyens Credo gelten, dass ein Mehr an staatlichen Leistungen bei den Kindern direkt ankommen müsse. Dieses Credo wird von der Mehrheit der Bürger geteilt. Das erhöht den Spielraum der Ministerin für ungenaue Pläne und ist nur scheinbar ein Sieg der Vernunft. Denn es hat einen bitteren Beigeschmack. Im Hartz-IV-Milieu saufen Mütter, schlagen Väter, hocken Kinder vor der Glotze, Migrantenjungen machen früh kriminelle Karrieren. Es gibt unter den Hartz-IV-Beziehern aber auch Eltern, die sich selbst viel versagen, um mit knappen Mitteln ihre Kinder zu fördern. Jede Lehrerin kennt eine dieser Mütter, die für ihre Kinder Bäume ausreißen könnten. Schon lange sind die Kinderwelten in diesem Land der schärfste Spiegel für wachsende Ungleichheit, für Benachteiligungen, für den lethargischen oder aggressiven Selbstausschluss aus der Gesellschaft.

Es ist kennzeichnend für diese Verhältnisse, dass eigentlich niemand weiß, wie Verwahrlosung, Unwissenheit, Aufopferung sich verteilen. Das Millionenheer der Sozialhilfeempfänger haben wir zwei Jahrzehnte ignoriert. Nun blicken wir latent abschätzig auf die Millionen in der Hartz-IV-Unterschicht, über die der öffentliche Ton und alle Bessergestellten pauschal urteilen, dass „die da unten“ nicht wissen, was gut für ihre Kinder ist.

Diese Kinder, die in allen Fällen benachteiligt sind, brauchen, was die katholische Soziallehre Personalität nennt. Konkrete menschliche Hilfe. Wo Sucht und Gewalt herrschen, muss ein Kind im Ernstfall durch entschlossene Intervention aus der Familie genommen werden. Wo eine alleinerziehende Mutter nur überfordert ist, muss sie unterstützt werden, damit dem Kind geholfen ist. Es stimmt, Bildung ist der entscheidende Schlüssel, um Kindern Wege zu öffnen, die sie selbst gehen müssen. Sie brauchen starke öffentliche Strukturen, Kitas und Schulen mit Sprachförderung, Musik, Sport, ordentliches Essen und Gemeinschaftsunternehmungen. Vor allem mit Lehrern und Sozialarbeitern, die ihre Schüler kennen, aber auch den Jugendamtsleiter, die Polizisten oder die Migrantenvereine ihres Viertels. Benachteiligte Kinder brauchen ein nahes Netz von verantwortlichen Menschen, die sich kümmern. Nichts gegen den Stuttgarter Kinderchip, den Berlinpass und ähnliche Angebote anderer Städte, die das flankieren.

Diese Bundesregierung hat zu Beginn ihrer Amtszeit Milliarden für eine Kindergelderhöhung ausgegeben, als schon absehbar war, dass Karlsruhe die Hartz-IV- Sätze für Kinder monieren würde. Ihr Existenzminimum muss definiert werden und als Geld- und Sachleistung in die Familien gehen. Nicht mehr und nicht weniger. Den Bildungschip als neue Bildungsoffensive auszugeben, ist jedoch ein läppischer Bluff. Von der Leyens künftiger Familienlotse im Jobcenter fiele, wie schön für sie, in ihr Ressort. Aber das ist ja das deutsche Bildungselend, dass politische Zuständigkeiten mehr zählen als benachteiligte Kinder.

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