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Meinung: Bio-Siegel: Der grüne Engel

Die Agrarwende hat bisher weitgehend im Verborgenen stattgefunden. Nun soll sie ein Gesicht bekommen.

Die Agrarwende hat bisher weitgehend im Verborgenen stattgefunden. Nun soll sie ein Gesicht bekommen. Am Mittwoch hat Landwirtschaftsministerin Renate Künast das lang erwartete Siegel für ökologisch erzeugte Lebensmittel vorgestellt. Es wurde auch Zeit. Denn kaum jemand hat bemerkt, dass sich in der deutschen Agrarpolitik seit Künasts Amtsantritt tatsächlich einiges verändert hat. Die grüne Ministerin hat den Reformstau, den ihre Vorgänger Jochen Borchert (CDU) und Karl-Heinz Funke (SPD) hinterlassen hatten, sogar erstaunlich schnell aufgelöst. Allerdings tragen diese Veränderungen sperrige Namen wie etwa Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) oder Modulation - die Umverteilung Brüsseler Subventionen zugunsten einer umweltverträglichen Landwirtschaft -, die 2003 beginnen soll. Ein Bio-Siegel kann dagegen jeder sehen.

Es ist der zweite Versuch, der Öko-Ware mit einem einheitlichen Gütezeichen zum Durchbruch zu verhelfen. Der erste, das 1999 eingeführte Öko-Prüfzeichen, ist gescheitert. Bis heute kennt kaum jemand das Qualitätszeichen. Dabei betrug der Etat für die Einführung stattliche 5,8 Millionen Mark - offenbar nicht genug. Renate Künast hat sich das zu Herzen genommen. Das neue Bio-Siegel soll nun mit einem Werbeetat von 28 Millionen Mark über einen Zeitraum von zwei Jahren zum Selbstläufer werden.

Die Bedingungen für das neue Siegel sind ungleich besser als vor zwei Jahren. Die 101 Fälle von Rinderwahn in deutschen Ställen, die zwischen der Einführung der beiden Siegel liegen, haben nicht nur die Bereitschaft der Verbraucher erhöht, ökologische Lebensmittel zu kaufen. Sie haben auch den Willen der Bauern befördert, sich ernsthaft um das Verbraucher-Vertrauen zu bemühen. Außerdem hat Künast ihre Partner - vom Bauernverband über den Handel bis hin zu den Ökolandbau-Verbänden - davon überzeugt, dass nur ein Siegel mit einfachen Regeln eine Chance hat, sich durchzusetzen. Versuchen, Öko-Lebensmittel durch ein möglichst anspruchsvolles und kompliziertes Gütezeichen dauerhaft in einen Nischenmarkt einzuzementieren, widerstanden die Beteiligten. Herausgekommen ist ein Bio-Siegel, das sich an der EU-Verordnung zum ökologischen Landbau orientiert, und damit an weltweit gültigen Standards.

Der Welt-Markt für ökologisch erzeugte Lebensmittel wird weiter wachsen. Ob die deutschen Bio-Bauern davon profitieren können, hängt davon ab, ob sie aus der Nische heraus kommen und erfolgreich mit konventionell erzeugten Lebensmitteln konkurrieren. Das neue Bio-Siegel kann ihnen dabei helfen. Es verlangt ihnen allerdings auch etwas ab, wozu die deutsche Öko-Szene bisher nicht in der Lage war: Professionalisierung. Mit den bisherigen Amateur-Strukturen, wie etwa der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (Agöl), lässt sich das nötige Wachstum nicht organisieren. Daraus haben die beiden größten ökologischen Landbau-Verbände, Bioland und Demeter, im Frühjahr Konsequenzen gezogen: Sie traten aus der Agöl aus. Ihr Schritt in den Markt markiert den Abschied von den bequemen Zeiten in der Nische.

Die Preise für Öko-Lebensmittel werden sich nicht mehr, wie noch Mitte der 90er, nahezu unabhängig von den Preisen für konventionelle Produkte bilden. Je mehr Ware auf den Markt drängt, desto mehr werden die Preise aneinander gekoppelt sein. Eine Entwicklung, die die Zentrale Markt- und Preisberichtsstelle bereits seit einigen Jahren beobachtet. Außerdem werden sich die deutschen Öko-Bauern mit der ausländischen Konkurrenz, insbesondere aus Ost-Europa, messen müssen. Mit Hilfe des neuen Bio-Siegels kann es ihnen gelingen, ihren Marktanteil zu erhöhen. Vielleicht sogar bis zu den 20 Prozent, die Künast bei ihrem Amtsantritt gefordert hat. Mit dem Nischendasein ist es dann endgültig vorbei.

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