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Meinung: Bleib bei deinen Gummibärchen

Gottschalk will im Bundestag reden – dabei macht die Politik schon genug Show

Kein Politiker kann bei der Lösung seiner Berufsprobleme auf Rat und Hilfe aus der Unterhaltungsbranche rechnen. Eher wohl, und das ist auch richtig so, auf Hohn und Spott. Thomas Gottschalk hat seine Saalwette am letzten Samstag verloren und will sie mit einer Rede im Bundestag einlösen. Der Chef-Entertainer der Nation ist also auf die Politik angewiesen - und wird von allen Seiten mit guten Tipps versorgt. FDP-Generalsekretärin Connie Pieper hat sofort darauf hingewiesen, dass Gottschalk über „Wetten, dass“ sowieso mehr Menschen erreichen würde als mit einer Rede im Bundestag.

Tröstlich. Aber nicht hilfreich. Schließlich steht Gottschalks Glaubwürdigkeit bei Millionen in Frage. Wolfgang Thierse, als Bundestagspräsident in dieser Sache zuständig, hat ihm gleich zwei solide Wege vorgeschlagen: Entweder Abgeordneter werden oder Chef eines wichtigen Staates. Denn nur gewählte Volksvertreter dürfen im Bundestag reden und – selbst das ist schon eine große Ausnahme – wichtige Repräsentanten anderer Länder, die von den Gewählten ausgewählt werden.

Parlamentarier oder Staatsmann – zwei ordentliche Optionen, die nicht jeder hat. Zumindest der erste Weg dürfte Gottschalk bei seiner Popularität nicht verschlossen sein. Er schmollt trotzdem. Daran scheitere Deutschland momentan, hat er gesagt, dass Dinge, die eigentlich möglich sein sollten, nicht möglich sind. Für alles gebe es einen Verhinderungsparagrafen.

Zwei Sätze, die jede Konkurrenz mit den verbalen Nebelkerzen aus dem Bundestag aufnehmen können. Leitet der Mann aus der U-Branche etwa wirklich eine neue Laufbahn ein? Offenbar kann er zwischen sich selbst und den Interessen der Nation so wenig unterscheiden, wie es die Bürger bei vielen Politikern verdrießt. Natürlich gibt es einen Paragrafen dagegen, dass Unterhaltungsveranstaltungen in Graz die Rednerliste des Bundestages festlegen. Selbstverständlich ist es nicht „eigentlich möglich“, dass Publikumslieblinge vor der Volksvertretung sprechen, wenn es ihnen gerade passt. Und ganz sicher scheitert Deutschland momentan an ganz anderen Dingen als einem Mangel an Gottschalk-Reden, mit denen der sich als Politiker versucht.

Der Fall beweist es wieder: Die größten Lebensweisheiten sind ziemlich alt – und ziemlich vergessen. Schuster, bleib bei deinem Leisten, hat vor über 2300 Jahren der Maler Apelles einem wackeren Handwerker zugerufen. Dessen Rat zur Sandale hat der Meister akzeptiert – den zur Wade aber scharf zurückgewiesen. Die Übergänge sind mittlerweile fließend geworden zwischen U und E, nicht nur in der Musik. Dabei ist wahr, dass es im Bundestag nicht so kurzweilig zugeht wie bei „Wetten, dass“. Und es stimmt auch, dass die dritte Lösung über die Hartz-Gesetze weniger Zuschauer anzieht als der sonntägliche Talk bei Christiansen.

Der Politik-Verdruss ist schlimm genug. Aber noch mehr Anleihen bei der U-Branche würden dem Ansehen von Politik und Politikern, mit Verlaub, den Rest geben. Politiker beklagen die Tendenz zum Boulevard in der Politik – und verbeugen sich ebenso oft vor ihm. Die Legende, dass bei Christiansen mehr entschieden wird als im Bundestag, ist bei Medien und Politikern beliebt. Wahr ist sie trotzdem nicht.

Und Thomas Gottschalk? Er ist unschlagbar als Gummibären-Garant für kleine Kinder und ihre Muttis. Und als Wettmeister, der weiß, dass das Publikum sich auf die Regeln seiner Sendung verlassen will. Es darf nicht nur vermutet, es muss unterstellt werden, dass die Bürger die Regeln des Bundestags noch strenger eingehalten sehen wollen. Beim ersten Versuch in anderen Gefilden ist Gottschalk weit unter dem Niveau gelandet, das er uns schuldig ist. Schon bitter für das Publikum, wenn Thierses Laufbahn-Tipps an den Entertainer witziger sind als Gottschalks erste Politik-Kommentare.

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