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Meinung: Blödsinn für Fortgeschrittene

Die Union will zum Thema Wahllüge das schärfste Schwert des Parlaments zücken

Von Robert Birnbaum

Politiker soll man an ihren Taten messen – und an ihren Worten. Als SPD und Grüne in der vorigen Wahlperiode einen Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre einsetzten, war das häufigste Wort aus dem Mund christdemokratischer Spitzenpolitiker „Parteitaktik“. Sie hatten zur Hälfte Recht – zur anderen Hälfte war das Parlament es sich schuldig, den größten Spendenskandal seiner Geschichte zu untersuchen. Jetzt will die Union selbst einen Untersuchungsausschuss. Man hat das Wort „Parteitaktik“ in diesem Zusammenhang aus dem Mund christdemokratischer Spitzenpolitiker noch nicht gehört. Das ist schade. Sie hätten diesmal zur Gänze Recht.

Dabei ist alles noch viel schlimmer. Über Parteitaktik kann man ja reden. Die von Weihnachtsgans und Silvesterpunsch womöglich versöhnlich gestimmten Wähler in Hessen und Niedersachsen daran zu erinnern, was diese Bundesregierung vor der Wahl verschwiegen und nach der Wahl dann ausgepackt hat – keine Frage, dass das legitim ist. Die Union übersieht nur etwas Wesentliches, oder sie will es nicht sehen. Sie greift zum falschen Instrument. Sie tut es obendrein im Namen einer politischen Kultur, die sie genau damit preisgibt.

Ganze 33Untersuchungsausschüsse hat der Deutsche Bundestag seit seinen Anfängen eingesetzt. Die „schärfste Waffe der Opposition“ ist meistens sparsam geschwungen worden. Alle Ausschüsse – von den frühen Nachforschungen nach den Gründen für den Anstieg der Kraftstoffpreise über die Stichworte Flick, Steiner-Wienand, Schalck-Golodkowski bis hin zum Kohl-Ausschuss – hatten einen Skandal zum Gegenstand. Es ging um den Verdacht auf Korruption und Einflussnahme, auf Stimmenkauf und Spionage, auf Waffenhandel und schwarze Kassen. Es ging um Vorgänge an der Schnittstelle zwischen Politik und Verbrechen und um die Aufklärung eines unklaren Sachverhalts. Der Untersuchungsausschuss agiert darum nicht zufällig nach den Regeln der Strafprozessordnung.

Worum aber soll es hier gehen? Um den Nachweis der „Wahllüge“. Das ist, mit Verlaub, höherer Blödsinn. Dass gelogen, geschönt, getrickst worden ist, ist offenkundig. Dass die Lage bitter ernst, der Bundeshaushalt das Papier nicht wert war, das hat jeder Regierungspolitiker gewusst. Jeder Oppositionspolitiker hat es gesagt. Bis kurz vor der Wahl haben die Wähler darin Grund genug gesehen, die Regierung abzuwählen. Dann haben es sich die Wähler anders überlegt. Sie fanden anderes wichtiger.

Die Union respektiert diese Entscheidung nicht. Hinter dem Ruf nach dem Untersuchungsausschuss steht die Behauptung, die Leute hätten anders gewählt, hätten sie gewusst, was auf sie zukommt. Das mag sein. Aber wie war das mit Helmut Kohls „blühenden Landschaften“? Und wo, übrigens, waren die Blut-Schweiß-und-Tränen-Reden der Union im Wahlkampf? Es gab Versprechungen mit einer Fußnote namens „Finanzierungsvorbehalt“. Ein bisschen ehrlicher war das – ehrlich war es nicht.

Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, ob Wählertäuschung und Schönfärberei politischen Verbrechen gleichkommen. Es geht darum, ob in logischer Konsequenz demnächst alle Wahlprogramme dem politischen Strafgerichtshof des Parlaments vorgelegt werden. Die Frage stellen, heißt, sie verneinen. Wahlbetrug ist nicht justiziabel. Er wird politisch geahndet. Und Richter ist der Wähler, nicht die Opposition.

Dass die Politik sich dringend selbst fragen muss, wieviel Zwecklüge die Demokratie verträgt – keine Frage. Der „Lügen-Ausschuss“ aber darf nicht kommen. Er würde das Instrument Untersuchungsausschuss endgültig vom Mittel der Aufklärung zum Vehikel der Parteipolitik degradieren. Die Union macht nämlich im Kern das Gleiche, was sie der Regierung vorwirft: Sie gibt um parteipolitischen Kleingelds willen ein Stück politischer Kultur preis. Es ist ein ohnehin schon arg verkratztes Stück. Aber es wird noch gebraucht. Zu ernsten Zwecken.

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