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Ein Angriff auf den Koalitionspartner? Siegfried Kauder (CDU) schlägt vor: Wer nach mehrmaliger Ermahnung weiter illegal Daten aus dem Netz zieht, dem soll mehrere Wochen lang der Zugang zum Internet versperrt werden.

© dpa

Bloggerkolumne: Wer Netzsperren fordert, kennt das Netz nur aus dem TV

Siegfried Kauder hat erst eine Netzsperre für Menschen gefordert, die das Urheberrecht verletzen - und dann hat er es selbst getan. Blogger Markus Beckedahl findet: Dieses Recht versteht kein Mensch mehr.

Wer bei einer Urheberrechtsverletzung im Internet wiederholt erwischt wird, dem soll für drei Wochen das Internet entzogen werden. Das forderte zu Beginn der Woche der Bundestagsrechtsausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU). Ein sogenanntes Verwarnmodell solle geschaffen werden, für das Lobbyisten der Musikindustrie seit einigen Jahren kämpfen. Für Laien klingt das nachvollziehbar, der Führerschein wird schließlich auch manchmal entzogen.  Doch was wäre das in Wahrheit? Die Durchsetzung des Rechts würden dann Private übernehmen. Der Internetanbieter würde zum Hilfspolizisten, der die Nutzer informiert oder abklemmt, sobald ihm Detektive der Unterhaltungsindustrie Mitteilung machen.

Aber soll  sich die Spedition beim Umzug um die Schönheit meiner Möbel scheren? Die Post um den Inhalt meiner Briefe? Der Nachbar sich den Inhalt von Paketen angucken, wenn er ein Päckchen annimmt? Sollte man Ihnen den Briefkasten wegnehmen, weil Ihnen kopierte Zeitungsartikel mit der Post zugeschickt worden sind oder Sie selbst einen solchen versandt haben? Ein Internetanbieter hat einfach nichts im Verkehr seiner Nutzer verloren.

Auch die praktische Anwendung eines solchen Warnmodells mit Zugangskappung bei wiederholter Urheberrechtsverletzung hätte viele Tücken: Sollen Familien der Internetzugang gesperrt werden, wenn die Kinder Musik heruntergeladen haben? Wird der DSL-Anschluss zuhause gekappt? Oder auch das UMTS am Notebook und im Smartphone? Muss ich für drei Wochen alle Geräte abgeben, weil ich auch unterwegs offene Drahtlosinternetzugänge nutzen kann?

Blogger Markus Beckedahl.
Blogger Markus Beckedahl.

© promo

Mitte der Woche war Siegfried Kauder erneut in den Schlagzeilen gekommen. Auf seiner Webseite hatten Nutzer gleich einige Urheberrechtsverletzungen gefunden. Müsste man ihm jetzt nicht Fax und Briefkasten für drei Wochen sperren?  Kauder war um eine Ausrede nicht verlegen: es habe sich gezeigt, dass sein Warnmodell funktioniere. Und er teilte mit: die Urheberrechte an zwei Fotos würden mittlerweile ihm gehören. Dass das aus Sicht des deutschen Urheberrechts gar nicht möglich ist, da man das Urheberrecht nie komplett abgibt sondern nur die Nutzung ermöglicht, störte den Bundestags-Rechtsausschussvorsitzenden nicht. Nur ist dieser Ausschuss auch für das Urheberrecht federführend zuständig.  Der Abgeordnete Siegfried Kauder zeigte so unfreiwillig ein Problem auf: das durch Interessen der Musik- und Filmkonzerne ad absurdum geführte aktuelle Urheberrecht versteht kein Mensch. Aber manche von denen, die es nicht verstehen, sind in die Lage versetzt worden, darüber mitentscheiden zu dürfen.

Der Zugang zum Internet ist heute Grundvoraussetzung für wirtschaftliche, gesellschaftliche, soziale und demokratische Teilhabe (was die aktuelle Rechtslage leider momentan an vielen Stellen nicht widerspiegelt, beispielsweise bei Hartz IV-Ansprüchen). Auf Ideen wie die Abschaltung können nur Menschen wie Siegfried Kauder kommen, die das Netz offenbar selbst nur aus Zeitung und Fernsehen kennen.

Markus Beckedahl ist Blogger bei netzpolitik.org und Mitgründer der "Digitalen Gesellschaft".

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