zum Hauptinhalt

Meinung: Böse Suppe

Chinas neue Oberschicht gefährdet die Weltmeere

Alexander S. Kekulé Tauchen ist auf den Malediven nur noch halb so spannend wie früher, als nahezu an jedem Riff Haie wohnten. Wer hier vor zehn Jahren abtauchte, konnte die eleganten Jäger gleich dutzendweise bewundern: Graue Riffhaie, Schwarzspitzenhaie und Weißspitzenriffhaie waren so allgegenwärtig, dass sie kaum einen Eintrag ins Logbuch wert waren. Am berüchtigten „Fish Head“ im Ari-Atoll zogen die Einheimischen angeblich nur Fischköpfe aus dem Wasser – den Rest hatten die Haie von der Angel gebissen. Heute sind Begegnungen mit den maledivischen Riffhaien, die übrigens für Menschen vollkommen ungefährlich sind, zur Seltenheit geworden.

Warum die einstige Touristenattraktion so plötzlich verschwunden ist, verrät im Inselstaat freilich niemand. Der Grund für den Taucherfrust liegt im fernen China verborgen – genauer gesagt, in den Suppentöpfen chinesischer Feinschmeckerlokale: Haiflossensuppe ist das Leibgericht der chinesischen Schickeria. Wenn es im Reich der Mitte gilt, vornehme Hochzeitsgäste zu beeindrucken oder wichtige Geschäftspartner zu umgarnen, darf der edle Flossensud nicht fehlen. Im Restaurant zahlt man dafür bis zu einhundert Euro.

Das Absurde daran: Haiflossen als solche sind vollkommen geschmacklos, wie selbst deren größte Connaisseurs einräumen. Die getrocknet verkauften Flossen werden kleingeschnitten und in einer komplizierten Prozedur etwa sieben Stunden mit Gewürzen in Hühner- und Entenbrühe gekocht. Dabei quellen die gelatineartigen Flossenfasern wie Glasnudeln auf und verdicken die Suppe. Der Kenner würzt mit Pfeffer und wenig Essig nach und trinkt sie sehr heiß, wobei in China bekanntlich laut geschlürft werden darf.

Natürlich könnte die Suppe auch aus anderen Fischknorpeln zubereitet werden, ohne den Geschmack oder das Schlürferlebnis zu verändern. Aber dann wäre sie billig und nicht mehr schick. Außerdem helfen Haiflossen angeblich gegen hohen Blutdruck, machen Frauen schöner und Männer jünger – wofür es freilich keine wissenschaftlichen Belege gibt. Am wirksamsten soll die Rückenflosse sein, von der jedes Tier nur eine besitzt. Sie ist die teuerste und selbstverständlich die einzige, die in der feinen Gesellschaft akzeptiert wird.

Durch den chinesischen Wirtschaftsboom ist die Nachfrage nach dem kulinarischen Statussymbol drastisch gestiegen: Nach Schätzung der Vereinten Nationen werden jährlich mindestens 30 Millionen Haiflossen über Hongkong importiert, Tendenz stark steigend. Weil das Interesse am restlichen Fischkörper viel geringer ist, trennen die Fischer meist nur die Flossen ab und werfen die verstümmelten, teilweise noch lebenden Tiere zurück ins Meer. Offiziell ist dieses „Finning“ inzwischen zwar in vielen tropischen Küstenstaaten verboten, insbesondere wenn sie auf den Tourismus angewiesen sind. Doch für die Fischer im Pazifik, im Indischen Ozean und südlichen Atlantik sind 50 Dollar pro Flosse sehr viel Geld. Und gegen ausländische Fangflotten sind die Hoheitsgewässer ohnehin kaum zu schützen.

Die Haibestände sind deshalb in allen Weltmeeren dramatisch zurückgegangen. Im Atlantik verschwanden bei den meisten Arten innerhalb von 15 Jahren rund 80 Prozent der Tiere; bei den am schwersten betroffenen Hammerhaien waren es sogar 90 Prozent.

Die urzeitlichen Knorpelfische werden erst spät geschlechtsreif (einige Arten mit 12 bis 18 Jahren) und bekommen oft nur ein bis zwei Junge. Sie sind deshalb gegen Überfischung besonders empfindlich. Weil sie – wahrscheinlich schon seit der Saurierzeit – an der Spitze der marinen Nahrungskette stehen, verändert ihre Dezimierung das gesamte Ökosystem. Die weitreichenden Auswirkungen sind auch für Fachleute überraschend. Wie kanadische Meeresbiologen gerade herausfanden, beruht das seit Jahren beobachtete Muschelsterben an der Ostküste der USA auf dem Verschwinden der Haie: Deren Beutetiere vermehrten sich ungehemmt und fraßen die Muscheln weg.

Haie brauchen deshalb dringend eine Lobby – auch wenn sie nicht so kuschelig sind wie Robbenbabys und nicht so schön singen wie Buckelwale. Und die umweltschädliche Flossensuppe muss von den Speisekarten verschwinden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false