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Meinung: Bomben für alle

Die Doppelmoral der Atommächte fördert die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen

Die riesige Anlage steht in einem abgelegenen Landesteil und unterliegt strengster Überwachung durch Polizei und Geheimdienste. Binnen Wochen könnte hier das Spaltmaterial für eine Atombombe des Hiroshima-Typs gewonnen werden, wenn Militärs und Regierung das wollten. Handelt es sich also um das Geheimprojekt eines Schurkenstaates?

Mitnichten. Die Fabrik zur Anreicherung spaltbaren Urans steht im westfälischen Gronau nahe der niederländischen Grenze. Alles geschieht ganz legal. Betreiber und Bundesregierung sind vertraglich verpflichtet, ausschließlich Brennstoff für Atomkraftwerke zu produzieren und niemand zweifelt an ihrer Vertragstreue. Ganz anders in Iran. Dort betreibt ein Regime von Theokraten bei der Stadt Natanz eine Anlage mit genau derselben Technologie. Auch sie sind verpflichtet, die Anlage nur zivil zu nutzen. Auch sie beteuern Vertragstreue, alles sei legal. Doch die Mullahs haben allen Grund, einen Angriff der US-Armee zu fürchten. Nicht nur setzte der Präsident ihr Land auf die „Achse des Bösen“. Zugleich besetzten seine Soldaten das Nachbarland Irak. Darum liegt der Verdacht nahe, die Iraner könnten sich mit der Urananreicherung den Stoff für die nukleare Abschreckung verschaffen. Und darum versuchen Amerikaner und Europäer mit aller Macht, sie zum Verzicht zu bewegen.

Gronau, Natanz – der Vergleich ist nicht politisch korrekt. Aber er illustriert das zentrale Dilemma des Vertrags zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen: Das völkerrechtliche Konstrukt ist in sich widersprüchlich und wird von seinen Urhebern, den fünf Atommächten USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich fortwährend sabotiert. Wenn die 188 Vertragsstaaten in dieser Woche in New York zur Überprüfungskonferenz zusammentreten, werden sie darum nur den anhaltenden Niedergang einer richtigen Idee feststellen können.

Denn die Grundkonstruktion des Vertrags ist nicht zu halten. Er verspricht allen Mitgliedstaaten freien Zugang zur zivilen Nutzung der Atomkraft, wenn sie auf Atomwaffen verzichten. Aber jede Nation mit einer zivilen Atomindustrie ist stets auch ein Atomwaffenstaat im Wartestand, nicht nur Iran. Auch die Bundesrepublik hat diesen Stand-by-Status, den sie nicht zuletzt durch die Lagerung von einigen Tonnen waffentauglichem Plutonium jahrzehntelang dokumentierte. Ernst zu nehmen wäre die Politik gegen die Proliferation darum nur, wenn sie die Lebenslüge der Atomgemeinde abräumt: Die zivile und militärische Nutzung der Kernspaltung sind politisch und materiell nicht zu trennen. Die einzige echte Hürde auf dem Weg zur Atombombe ist der Zugriff auf spaltbares Material. Wer den begrenzen will, muss auch den Verzicht auf Atomstrom propagieren.

Nicht minder kontraproduktiv ist der Umgang der fünf alten Atommächte von 1967 mit jenen drei, die ihrem Beispiel folgten, aber dem Vertrag nicht beitraten: Indien, Pakistan und Israel verfügen über Atomwaffen und müssen trotzdem keine Anklage vor dem UN-Sicherheitsrat fürchten. Die Regierungen in Islamabad und Tel Aviv genießen sogar den militärischen Beistand der US-Regierung. Schon allein dieser Umstand untergräbt massiv die Glaubwürdigkeit des ganzen Nichtverbreitungs-Regimes.

Misst man die Atommächte schließlich an ihren eigenen Verpflichtungen aus dem Sperrvertrag, dann verkommen alle ihre Warnungen vor dem Armageddon durch unkontrollierte Verbreitung von Atomwaffen zur Heuchelei. Das Abkommen verpflichtet ja nicht nur die nuklearen Habenichtse zum Verzicht. In Artikel VI des Vertrages versprachen die Atommächtigen im Gegenzug „Verhandlungen in gutem Glauben“ mit dem Ziel „der frühzeitigen Beendigung des nuklearen Rüstungswettlaufs und der nuklearen Abrüstung“. Auf die Erfüllung dieses Versprechens wartet die Menschheit bis heute vergebens. Im Gegenteil, alle fünf, allen voran die USA, investieren Milliarden in die Modernisierung ihres nuklearen Waffenarsenals.

So durchzieht die gesamte Politik der Nichtweiterverbreitung das Prinzip der Doppelmoral. Das muss scheitern. Die aufstrebenden Nationen des Südens werden sich auf Dauer gewiss nicht einem Atomwaffenregime ohne Legitimation unterordnen.

Wer da beim Zugang zur Atomtechnik, gleich ob zivil oder militärisch, weltweit mit zweierlei Maß misst, wird am Ende nichts mehr zu kontrollieren haben.

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