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Brandbrief: Musikunterricht muss sein!

Eine Gesellschaft ohne musikalische Bildung vereinsamt und verarmt. 13 Berliner Dirigenten und Intendanten haben sich daher an Bildungssenator Jorgen Zöllner gewandt.

So viel Eintracht war nie. Und so viel Angst war nie. 13 Berliner Dirigenten und Intendanten haben an Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner einen Brandbrief gegen den Abbau des Musikunterrichts an öffentlichen Schulen geschrieben. Selbst Persönlichkeiten, die sich von Amts wegen kaum wirklich grün sind, zeichnen hier einträglich nebeneinander. Die Angst muss groß sein.

Und sie ist mehr als berechtigt. Die Institutionen bangen um ihre Zukunft. Ohne Publikum kein Musikleben. Insofern ist der Protest so egoistisch wie verzweifelt. Wir Dirigenten, Kulturmanager, Intendanten und Regisseure wollen überleben. Und dazu brauchen wir Zuschauer, Zuhörer, die das, was uns treibt, vielleicht nicht immer ganz verstehen oder goutieren, aber in seiner Faszinationskraft, seiner Magie, seinem Eros doch einschätzen und nachvollziehen können, ja vielleicht sogar lieben und bewundern. Beethovens Sinfonien, Wagners Musiktheater, Chopins Klavierwerke, die ästhetischen Brüche im 20. Jahrhundert, die drängenden Fragen ans 21.: Ohne eine gewisse Bildung, ohne Lust auf Kommunikation, auf andere Lebenszusammenhänge als die uns unmittelbar umgebenden ist das Vergnügen daran maximal halb so groß.

Der Hunger, heißt es, kommt beim Essen. Geschmacksnerven allerdings wollen trainiert sein. Und wer sich bei Wagner oder Beethoven tödlich langweilt, der wird dafür so schnell nicht wieder Geld ausgeben. Viel schlimmer: Die Quote derjenigen, die von Johann Sebastian Bach oder Arnold Schönberg noch nie gehört haben und in deren Aktionsradius Opernhäuser und Konzertsäle entsprechend gar nicht vorkommen, schnellt umgekehrt proportional zum nicht mehr stattfindenden Musikunterricht an den Schulen dramatisch in die Höhe (von der Qualität desselben ganz zu schweigen). Am schlimmsten vielleicht: Diese Kinder wissen gar nicht, was ihnen fehlt und entgeht. Sie werden ausgeschlossen, ohne je gefragt worden zu sein, ohne jedes Angebot. Geht der Staat so seinem demokratischen Bildungsauftrag nach?

Eine ganze Kultur droht zu verschwinden, eine Tradition, um die uns die Welt beneidet, ein Reichtum, ein Forum der vitalen bürgerlichen Auseinandersetzung und Verständigung. Insofern zielt der Protest auf sehr viel mehr als auf die Rettung der eigenen Künstlerhaut. Er zielt ins Mark unserer Gesellschaft. Zahllose Untersuchungen sagen es: Wer ohne Musik aufwächst, ist sozial deutlich weniger kompetent, kann sich schlechter konzentrieren, kann schlechter verknüpft denken und schlechter zuhören sowieso. Wer ohne Musik aufwächst, ist benachteiligt. Gerade die Klassik mit ihren komplexen Strukturen meint immer Geist und Gefühl, Kopf und Bauch, kurz: den ganzen Menschen. Und um den sollte es uns in der Politik, in der Wirtschaft nicht mehr zu tun sein? Mit Absicht vielleicht?

Längst haben die Kulturinstitutionen ihre eigenen Education-Programme aufgelegt. Elternhaus und Schule zu kompensieren, wird ihnen nicht gelingen. Die Folgen kennen wir: Die Privilegierten ziehen sich in ihre Elfenbeintürme zurück, die anderen ins Internet. Kommunikation ausgeschlossen.

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