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Brandt und Kennedy: Kein Nachwuchs in Sicht

Zwei Staatsmänner, die Geschichte schrieben: Bundeskanzler Brandt und Präsident Kennedy. Noch heute umgibt sie der Nebel des Glamour, des Charisma, das beide unverwechselbar machte. Aber wären sie heute auch noch so erfolgreiche Politiker?

Es sind denkwürdige Daten, die sich jähren. Am kommenden Freitag vor 50 Jahren wurde John F. Kennedy ermordet, am 18. Dezember vor 100 Jahren Willy Brandt geboren. Beiden werden die Begriffe „Idol“, „Ausnahmeerscheinung“, „Legende“ schon fast inflationär zugeschrieben. Doch der Erörterung, was den Mythos dieser Führungsfiguren begründet, was ihr politisches Erbe ist oder warum ihre Verklärung bis heute anhält, muss sich auch diese Frage anschließen: Würde ihr Stern heute überhaupt noch so hell strahlen?

Was Kennedy und Brandt einte, war die Begabung zur großen Geste, die Fähigkeit, mit Worten Menschen zu berühren und bei Millionen Hoffnungen zu wecken. Und, nicht zuletzt, ihr gutes Aussehen.

Die Größten ihrer Zeit

Sie sind sich begegnet, der eine Bürgermeister des im Kalten Krieg nur schon symbolisch wichtigen Berlins, der andere frisch gewählter Hoffnungsträger der gesamten westlichen Welt. Brandt hat – zumindest bis zum Mauerbau – Kennedy sehr bewundert; er sprach von einem „Gefühl der Geistesverwandtschaft“ mit dem so jugendlich wirkenden Präsidenten. Ob Brandt ihn nun als „deutschen Kennedy“ kopieren, von seinem Charisma angesteckt werden wollte, oder ob sie tatsächlich aus ähnlichem Holz waren – einerlei. Fest steht: Beide zählen zu den Größten ihrer Zeit. Und das ungeachtet all dessen, was später auch an peinlichen persönlichen Details bekannt wurde.

Man muss nicht die zynische These bemühen, dass Kennedy nicht so lange leben und regieren durfte, bis die zwangsläufige Entzauberung einsetzen konnte, die politisches Alltagsgeschäft mit sich bringt. Viel zielführender ist die Überlegung, ob sein Charisma heute für eine ganze Amtszeit oder gar für zwei verfangen würde. Schaut man auf den früh ein „schwarzer Kennedy“ genannten Barack Obama, scheint Charisma keine Erfolgsgarantie mehr zu sein. Dem fast messianischen Heilsversprechen dieses rhetorischen Supertalents folgte die herbe Enttäuschung im praktischen Politikalltag. „Change“ ist schnell beschworen, aber langsam herbeigeführt.

Wer viel verspricht, der muss inzwischen schnell mit maximaler Ernüchterung kämpfen. Gewünscht ist überdies volle Transparenz und Gleichheit. Glamour ist großartig – aber bitte nicht zu viel.

Ein zweiter Kennedy ist nicht in Sicht

In Deutschland steht derzeit ein früherer Präsident vor Gericht, der sich noch in seiner Amtszeit genötigt sah, Privates bis zur Finanzierung der Garderobe seiner Frau einer kritischen Öffentlichkeit zu erklären. Doch es ist wie beim Kaiser, dem die prachtvollen Gewänder eines nach dem anderen abgenommen werden: Am Ende ist die Enttäuschung bei vielen groß.

Das muss nichts Schlechtes sein. Erklärung statt Verklärung verspricht größere Klarheit; Enttäuschung kann auch das Ende einer Täuschung sein. Dennoch ist gerade in diesen Tagen der Phantomschmerz fast mit Händen zu greifen, wenn etwa Altgenosse Erhard Eppler auf die Frage, ob er in der SPD einen Nachfolger Brandts erkennen könne, bedauernd antwortet: „Was Charisma angeht, sehe ich niemanden.“

Auch ein zweiter Kennedy ist nicht in Sicht, so sehr die Welt an Obama glauben wollte. Weil wir Menschen immer wieder, immer noch verzaubert werden wollen. Wenn man sich aber eingesteht, dass Politik dazu nur unzureichend in der Lage ist, dass es mehr auf Tatkraft und Pragmatismus des Politikers ankommt, ist das kein Schaden.

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