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#BringBackOurGirls: Eine Entführung und die Wahrheit

Die Solidaritätskampagne für die entführten nigerianischen Schülerinnen hat vor allem in den USA eine Eigendynamik entwickelt, die mit den Anliegen der Initiatoren in Nigeria kaum noch etwas zu tun hat.

Die ehemalige Bildungsministerin in Nigeria, Oly Ezekwesili, und der Anwalt Ibrahim Musa Abdullahi haben eine Lawine losgetreten. Sie forderten bei einer der ersten Demonstrationen, dass die nigerianische Regierung „unsere Töchter zurückbringen“ solle. Vor knapp vier Wochen hat die islamistische Sekte Boko Haram fast 300 Schulmädchen aus einer Schule im Nordosten Nigerias entführt. Der Anwalt Abdullahi machte aus der Forderung den Suchbegriff #BringBackOurGirls – Bringt unsere Mädchen zurück – im Kurznachrichtendienst Twitter. Zunächst hat die Kampagne so gewirkt, wie die beiden Initiatoren das gehofft hatten. Seit drei Wochen gehen vor allem Frauen auf die Straße und fordern: Bringt unsere Mädchen zurück.

Doch schon nach wenigen Tagen globalisierte sich der Protest. Der amerikanische Nachrichtensender CNN wurde auf die Geschichte aufmerksam, schickte eine Reporterin mit afrikanischen Wurzeln nach Nigeria und berichtet seither täglich über das Drama. Inzwischen ist aus #BringBackOurGirls eine amerikanische Kampagne geworden – mit ganz eigenen Zielen. Die amerikanische Öffentlichkeit fordert einen amerikanischen Militäreinsatz zur Rettung der Mädchen. So war das auch vor zwei Jahren, als ein amerikanischer Aktivist einer kleinen Nicht-Regierungsorganisation die Twitter-Kampagne #Kony2012 begann. Mit der Forderung, den obskuren und brutalen Chef der christlich-fundamentalistischen Sekte Lord’s Resistance Army (LRA), Joseph Kony, zu fassen, ist er durchgedrungen, obwohl sich schnell herausstellte, dass die Videos, mit denen die Kampagne hinterlegt war, Jahre altes Material verwendet hatten. Inzwischen sind 150 amerikanische Elitesoldaten im Einsatz, um Kony zu fassen, falls er überhaupt noch am Leben ist.

In Nigeria wächst die Skepsis gegenüber dieser amerikanischen Solidaritätskampagne, die von einigen inzwischen als neue koloniale Landnahme verstanden wird. Das Risiko ist groß, dass die überaus vereinfachte Wahrnehmung der nigerianischen Konfliktlage sich weiter verflacht. In der Hauptstadt Abuja setzen westliche Medien die nigerianische Regierung unter Druck. Dafür sind die meisten Nigerianer durchaus dankbar, denn ihre Regierenden entziehen sich jeder Kritik sonst schnell und erfolgreich.

Nigerianische Journalisten haben den Ursprung des Dramas genauer angeschaut: Chibok. So berichtet die investigative Internetzeitung „Premium Times“ über eine vernachlässigte Region im nordöstlichen Bundesstaat Borno mit gut 60 000 Einwohnern. Die Region zeichnet sich durch zwei ungewöhnliche Fakten aus: Die Menschen sprechen nur eine Sprache, nämlich Chibok, und es ist die einzige Region in Borno, in der überwiegend Christen leben; der Rest den Bundesstaates ist fast komplett muslimisch geprägt. Die entführten Mädchen sind Christinnen und Musliminnen. Sobald die amerikanische fundamentalistisch- christliche Rechte das erfährt, wird aus der Kampagne bestimmt eine gegen die Christenverfolgung. Und dann spielen die Nigerianer selbst endgültig keine Rolle mehr.

Die globale Kampagne für die entführten Mädchen macht die islamistische Sekte Boko Haram unfreiwillig überlebensgroß. Ihre eher losen Verbindungen mit dem Terrornetzwerk Al Qaida haben das Interesse amerikanischer Sicherheitsstrategen geweckt. Die Folgen sind absehbar. Die Welt ist ein globales Dorf. Aber die verschiedenen Teile dieses Dorfes verstehen sich nicht.

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