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Bundespräsident: Joachim Gauck und die Bankrotterklärung des Parteienstaates

Nicht die Parteien, sondern die Bürger haben Joachim Gauck zum Präsidenten gemacht. Die Entscheidung ist richtig, könnte für die Parteiendemokratie trotzdem zur Gefahr werden

Joachim Gauck wird Bundespräsident und alle scheinen zufrieden zu sein. Die Parteien, außer der Linkspartei, die Kommentatoren der Zeitungen und vor allem auch die Mehrzahl der Deutschen. Ihnen vor allem ist es zu verdanken, dass sich Union und FDP, SPD und Grüne am Sonntagabend dazu durchringen konnten, den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler für das höchste Staatsamt in Deutschland zu nominieren.

Hätte man nicht die Parteien gefragt, sondern die Wähler, wäre Joachim Gauck schon vor 20 Monaten Bundespräsident geworden. Hätten Union und FDP aufs Volk gehört, dann wäre ihnen Christian Wulff und dessen am Ende unausweichlicher Rücktritt erspart geblieben. Schon im Mai 2010 wurde die Kandidatur von Gauck von einer breiten Sympathiewelle in der Bevölkerung getragen. Hätte es bei der spannenden Wahlschlacht in der Bundesversammlung ein paar mehr Abweichler im Regierungslager gegeben, wäre Joachim Gauck schon damals im dritten Wahlgang die politische Sensation gelungen. Stattdessen musste er auf seine zweite Chance warten.

An seinen kurzen Wahlkampf im Frühjahr 2011 konnten Gauck und seine Anhänger nun erfolgreich anknüpfen, als Antwort auf die Krise des Parteienstaates. Gauck hatte erklärt, er wolle als Bundespräsident „ständiger Vertreter der gesamten deutschen Demokratie gegenüber dem Volk“ sein und als „Repräsentant des ganzen Volkes“  zu einer besseren Verständigung zwischen den Regierten und den Regierenden beitragen“ und schließlich hinzugefügt, dies sei „bitter nötig“.

Und schon damals hatte sich Gauck in seiner nur vierwöchigen Kampagne gekonnt als bürgerlicher Volkstribun stilisiert. Seine Unterstützer feierten den Pfarrer, ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und Ex-Verwalter der Stasi-Akten als Rebellen gegen das politische Establishment.

Auch nach der knappen Niederlage gegen Wulff trug Joachim Gauck diese Sympathiewelle weiter. Eigentlich lernten die Deutschen ihren Präsidenten der Herzen erst richtig kennen und schätzen, nachdem er in der Bundesversammlung unterlegen war. Und nur deshalb führte bei der Suche nach einem Wulff-Nachfolger am Ende kein Weg an Joachim Gauck vorbei. Der Druck auf die Parteien war groß, sie hätten ihren Wählern glaubhaft keinen anderen Kandidaten präsentieren können.

Gauck ist dies durchaus bewusst, vor 16 Monaten hatte dieser erklärt, „das Amt des Bundespräsidenten sollte keine Beute von Parteien sein“, nun hat er es ihnen entrissen, zunächst für die kommenden fünf Jahre.

Wäre es nach der ehrlichen Interessen der Parteien und den politischen Überzeugungen des politischen Spitzenpersonals in Deutschland gegangen, dann hätte Joachim Gauck keine Chance gehabt. Das kollektive Lob, mit dem eine Allparteienkoalition Joachim Gauck am Sonntagabend der Nation präsentierte, war deshalb nicht ehrlich, sondern unangebracht. Denn die Nominierung von Gauck, die den Parteienwettbewerb faktisch außer Kraft setzt, ist vielmehr ein Armutszeugnis für die Parteien, eine Bankrotterklärung.

Gauck ist in seinen politischen Überzeugungen konservativer und liberaler als es Rot-Grün eigentlich lieb sein kann.

Für SPD und Grüne, die den Kandidaten Gauck einst erfunden haben, war dieser vor allem deshalb interessant, weil sie damit in den Reihen der Regierungsparteien CDU, CSU und FDP für die größtmögliche Unruhe sorgen konnten. Das war schon 2011 so und deshalb haben sie ihn jetzt bei der Suche nach einem Wulff-Nachfolger erneut präsentiert. Politisch stimmen SPD und Grüne in vielen Fragen nicht mit Gauck überein. Dessen Freiheitsbegriff ist eher ein bürgerlicher, dieser spricht viel von Verantwortung oder Leistung und weniger von Solidarität. Als wortgewaltiger Kritiker des Kapitalismus ist Gauck bislang nicht aufgefallen, dafür jedoch als Verteidiger des Afghanistankrieges der Bundeswehr und als Kritiker der Occupy-Bewegung. Gauck ist in seinen politischen Überzeugungen konservativer und liberaler als es Rot-Grün eigentlich lieb sein kann.

Aus Sicht der FDP war es deshalb eher konsequent, sich für Gauck auszusprechen und hätte Angela Merkel mehr politischen Mut besessen, hätte sie sich bereits am Freitag an die Spitze der Bewegung gestellt. Die Kanzlerin hat jedoch nicht deshalb gezögert, weil sie sich nicht mit Gauck verstehen würde. Im Gegenteil. Nur braucht sie keinen Bundespräsidenten, der sich gerne im Grundsätzlichen verliert und der mit Vorliebe über politische Moral predigt.

Hier liegen zweifelsohne Gaucks Stärken. Der nächste Bundespräsident ist ein Intellektueller, politische Erfahrung besitzt er jedoch kaum. Unsicher und fahrig wird Joachim Gauck in seinen Reden deshalb immer dann, wenn er sich der praktischen Politik und den Themen dem gesellschaftlichen Alltag nähert. Nur vor allem da braucht Merkel in den kommenden Jahren präsidiale Unterstützung, bei der Euro-Rettung oder der Energiewende. Auch als sein Freiheitsbegriff basiert vor allem auf den Erfahrungen der DDR-Diktatur, für die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft taugt er kaum. Vor allem deshalb hat Merkel nach dem Köhler-Rücktritt auf Wulff gesetzt und vor allem deshalb hätte sie sich auch jetzt einen Kandidaten mit mehr politischer Erfahrung gewünscht.

Stattdessen bekommt Deutschland nun seinen Bürgerpräsidenten und der Parteienstaat steht insgesamt blamiert da. Was läge da also näher, als den Bundespräsident zukünftig immer von den Wählern und nicht von Politikern bestimmen zu lassen? Was läge näher als das höchste Staatsamt in Deutschland dem Zugriff der Parteien insgesamt zu entziehen und den Bundespräsidenten direkt vom Volke wählen zu lassen?

Laut Grundgesetz hat der Bundespräsident nur repräsentative Aufgaben, Macht hat er keine. Ein vom Volk direkt gewählter Bundespräsident würde sich damit kaum zufriedengeben.

Wer also die Direktwahl des Bundespräsidenten fordert, der fordert eine andere Republik, in der der Einfluss der Parteien gestutzt wird und wieder mehr politische Macht in einer Hand liegt. Der Oberbefehl der Streitkräfte würde dann genauso dazu gehören, wie das Recht zur Auflösung des Parlaments.

Der direkt gewählte Präsident wäre also eine autoritäre Antwort auf die Legitimationskrise des Parteienstaates und nur scheinbar führt die Direktwahl des Bundespräsidenten somit zu mehr Demokratie.

Joachim Gauck wird Bundespräsident. Es war richtig ihn zu nominieren. Aber eigentlich ist er der Kandidat der Bürger und nicht der Parteien. Wenn diese jetzt nicht aufpassen, könnte dies den Beginn einer gefährlichen Entwicklung werden.

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