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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (r) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, bei den Karlsruher Verfassungsgesprächen im Mai 2012. Mit dem angeregten Austausch ist es erst einmal vorbei. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat den Richter scharf kritisiert.

© p-a

Bundesverfassungsgericht: Richter sind keine Reservekanzler

Der Präsident des Verfassungsgerichts ist nicht Reservekanzler und nicht Reservebundespräsident. Der Innenminister Hans-Peter Friedrich hat Recht, wenn er sagt: Wer Politik machen will, sollte in die Politik gehen.

Andreas Voßkuhle – dieser Name wird zum Streitfall und zum Synonym: für das, was die Politik am Bundesverfassungsgericht stört, ja mehr noch, geradezu ärgert. Der Präsident, Voßkuhle also, erscheint in den Augen nicht nur des Bundesinnenministers anmaßend. Ein harsches Wort, das stimmt, aber es trifft die Gemütslage der Regierung. Denn Voßkuhle reizt mit seinem Widerspruch inzwischen zu institutionellem Widerspruch.

Dass er, zum Beispiel, Innenminister Hans-Peter Friedrich nach den Bomben von Boston doch ziemlich direkt zur Besonnenheit auffordert, bedeutet, dass er ihm damit gewissermaßen unterstellt, nicht besonnen genug zu reagieren. Und das, weil der Innenminister im Blick auf die Ermittlungen in den USA eine ausgeweitete Videoüberwachung fordert. Nun muss man kein Freund dieser Forderung sein; es kann einen durchaus unangenehm berühren. Zumal in Erinnerung an die deutsch-deutsche Vergangenheit kann man da sensibel sein.

Aber es ist andererseits seines Amts: Der Bundesinnenminister ist der Zuständige für die Innere Sicherheit, er ist der, der im Zweifelsfall, im Attentatsfall dafür verantwortlich gemacht wird, wenn nicht alles Mögliche getan und bedacht worden sein sollte. Dann war Zurückhaltung nämlich auch wieder nicht recht. Es geht also quasi um die Aufgabenbeschreibung dieses Ministers, gleich wie er heißt und aus welcher Partei er stammt, ob Otto Schily, Wolfgang Schäuble oder jetzt eben Hans-Peter Friedrich. Der Innenminister schützt die Verfassung dieses Landes, in jederlei Hinsicht. Und in dieser einen Hinsicht braucht er keine Belehrungen vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Das Parlament kann den Minister, nach politischer Auseinandersetzung, eines Anderen belehren.

Vertreter des Gerichts tun gut daran, wenig öffentlich oder halb öffentlich im Hintergrund über die Politik zu reden, sie zu kritisieren, als vielmehr durch ihre Urteile zu sprechen. So gesehen könnte man nämlich von politischer Seite recht böse sagen, dass es eher die zu verhandelnde Sache mit Anmerkungen rücküberweist als dass es aufsehenerregend brillant die Richtung zeigt.

Auch hier gibt es natürlich eine andere Sicht, eine abweichende Beurteilungsmöglichkeit: dass es eben gerade nicht Aufgabe des Gerichts ist, operativ Politik zu machen, sondern ihre Fehler zu reparieren. Und da gab es in zurückliegender Zeit tatsächlich etliche, die handwerklich zu beanstanden waren, was nicht für die Qualität der Politik spricht. Eine – unvollständige – Liste der richterlichen Kritik: beim Hartz-IV-Regelsatz; zum Asylbewerberleistungsgesetz; zur Einrichtung eines Geheimgremiums für den Euro-Rettungsschirm; bei der Homo-Ehe; beim Wahlrecht.

Dennoch darf es die Vertreter des Souveräns, sprich Abgeordnete, und die Vertreter in der Exekutive aufregen, wenn sich das ohnehin ausbreitende Gefühl verstärkt, dass sie die Schuldigen sind, mindestens aber Unverständige. Bis hin zu anderen obersten Verfassungsorganen gibt es deshalb den verständlichen Wunsch, das Verfassungsgericht möge stärker seinen eigenen Worten folgen und sich nicht zur Ersatzregierung aufgefordert fühlen; wer immer wieder als solche apostrophiert wird, glaubt es am Ende vielleicht doch selbst. Der Präsident des Gerichts ist daher auch nicht per definitionem Reservekanzler oder Reservebundespräsident – auch wenn es bei Roman Herzog einst so war und Andreas Voßkuhle vor einem Jahr für das Präsidentenamt genannt wurde.

So richtig es ist, dass das Bundesverfassungsgericht nicht einer Wagenburg gleicht, wer aus seinen Reihen richtiggehend Politik machen oder sich politisch streiten will, muss in die Politik gehen. Oder eben aushalten, dass die Richter in den politischen Streit einbezogen werden, was allerdings der Autorität einer überparteilich gedachten Instanz nicht förderlich ist. Aber darüber werden sich die Richter, an der Spitze ihr Präsident, im Licht der Geschehnisse vermutlich jetzt noch einmal ein Urteil bilden. Spätere Revision nicht ausgeschlossen.

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