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Bundeswehrabzug aus Afghanistan: In der Stunde der Not

Die afghanischen Helfer der deutschen Soldaten sind nach dem Bundeswehrabzug in großer Gefahr. Die Taliban könnten sich an ihnen rächen wollen. Doch Deutschland reagiert bürokratisch.

Das furchtbare Schicksal hunderter Asylsuchender aus Afrika und dem Mittleren Osten, die im Mittelmeer ertrinken, führt bislang nur zu diplomatischem Händeringen auf hohem Niveau. Deutschland erklärt sich, weil fern der europäischen Südgrenze gelegen, abwehrend als unzuständig. Für eine andere, weit kleinere Gruppe von Menschen in Not aber ist die Bundesrepublik sehr wohl verantwortlich. Doch auch hier verrammelt sich der Bundesinnenminister hinter bürokratischen Barrieren. Es geht um die afghanischen Helfer der Bundeswehr, die nach dem Abzug der Deutschen aus Kundus Mordopfer der Taliban werden könnten.

Ohne die etwa 1700 landeskundigen Dolmetscher, Ingenieure, Techniker und Arbeiter mit sehr guten Deutschkenntnissen wäre der gesamte Militäreinsatz so unmöglich gewesen wie die Aufbauhilfe der zivilen Hilfsorganisationen, der Lehrer, Brunnen- und Straßenbauer. Die Verbindung mit der deutschen Kultur hat in Afghanistan eine Tradition, die bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreicht. Damals kamen erste afghanische Studenten nach Deutschland. Im Vertrauen auf eine dauerhafte Stabilisierung der Verhältnisse in ihrer Heimat und durch gute Bezahlung gelockt haben die afghanischen Experten den deutschen Stationierungskräften gerne geholfen.

Mit dem Abzug der Bundeswehrsoldaten sind diese Menschen, die sich existenziell an deren Anwesenheit gebunden haben, nun aber in akuter Lebensgefahr. Von dauerhaft gesicherten demokratischen oder auch nur rechtsstaatlichen Verhältnissen in Afghanistan kann keine Rede sein. Präsident Hamid Karsai wertet das Ergebnis der zehnjährigen westlichen Truppenpräsenz verbal so negativ, dass man dies nur als Freibrief an die Taliban verstehen kann, nach dem Abzug der Istaf-Truppen umgehend die Macht zu übernehmen.

Die Taliban haben die Helfer auch bereits zu Freiwild erklärt. Es gab Mordanschläge und Entführungen von Angehörigen. Zudem berichten viele Helfer über Bedrohungen. Während sich aber die USA, Großbritannien, Dänemark und Norwegen, um nur einige zu nennen, als großzügig im Umgang mit solchen Bitten nach Übersiedlung in das Heimatland der entsandten Truppen zeigen, demonstriert Deutschland, wo es besonders stark ist: Es reagiert bürokratisch.

In einem Drei-Stufen-Modell müssen sich bedroht fühlende Afghanen ihrem Vorgesetzten die Gefährdung melden. Der überprüft zunächst einen Einsatz an einem anderen Ort in Afghanistan und leitet, falls das nicht möglich ist, das Ersuchen an die deutsche Botschaft in Kabul weiter. Die prüft den Einzelfall und schickt eine Empfehlung an das Bundesinnenministerium nach Berlin, das letztinstanzlich entscheidet.

Dieses hinhaltende Verfahren ist beschämend. In Deutschland leben fast 90 000 Afghanen. Die 1700 jetzt Gefährdeten mit ihren Familien in der Bundesrepublik zu integrieren, wäre angesichts der vorhandenen Community und ihrer Sprach- und Fachkenntnisse also kein Problem – wenn die humanitäre Verpflichtung zur Hilfe schon nicht als Argument reicht.

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