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Meinung: Bush besucht Europa: Ein etwas anderer Präsident

Warum gibt es zwischen Joschka Fischer und Hans-Dietrich Genscher keinen Unterschied? Weil europäische Außenpolitik - und wegen ihrer Geschichte besonders die deutsche - in Ketten gelegt ist, die zu sprengen schier unmöglich ist.

Warum gibt es zwischen Joschka Fischer und Hans-Dietrich Genscher keinen Unterschied? Weil europäische Außenpolitik - und wegen ihrer Geschichte besonders die deutsche - in Ketten gelegt ist, die zu sprengen schier unmöglich ist. Zuverlässigkeit, Konstanz und Vertragstreue gelten deshalb als höchste Tugenden. Zum Wohle der Gemeinschaft ist man zum Souveränitätsverzicht bereit. In Amerika ist das anders. Dort gilt Außenpolitik als etwas, das sich so oder anders gestalten lässt. Selbst radikalen Aktionen wird Spielraum gewährt. Unmittelbar nach dem irakischen Überfall auf Kuwait kündigte der Vater des jetzigen US-Präsidenten an, Saddam Hussein militärisch Paroli zu bieten, ob mit oder ohne Verbündete. Hätte er versucht, in pendeldiplomatischen Konsultationen eine Koalition zu schmieden, säße der Diktator womöglich noch heute auf fremdem Terrain.

Jetzt kommt Bush Junior nach Europa. Es ist sein erster Besuch bei den Ländern der transatlantischen Wertegemeinschaft. Einen Vertrauensvorschuss, wie es sich für Partner gehörte, hat man Bush hier nicht eingeräumt. Das Recht, am Anfang Fehler zu begehen, wurde ihm verwehrt. Statt dessen stand in Europa das Urteil über den Texaner fest, bevor dessen Team sich formierte. Er sei ein Greenhorn, habe Cowboy-Manieren, unterstütze die Todesstrafe und das Recht auf Waffenbesitz, könne sich nicht artikulieren, verschmutze die Umwelt und zappele als Marionette an den Strippen mächtiger Konzerne. Die arrogante Art, das Kyoto-Protokoll für nichtig zu erklären, sowie die Unbekümmertheit, mit der das Raketenabwehrprojekt vorangetrieben wird, haben das Misstrauen weiter genährt.

Wenn ein ideologischer Heißsporn gegen die Mauer der Realität rennt, bleibt die Mauer meistens stehen, der Heißsporn aber hat eine blutige Nase. Bush wollte vieles anders machen als sein Vorgänger, eigene Akzente setzen, die Grundzüge einer neuen Ordnung skizzieren. Den Gestaltungswillen kann man einem neugewählten amerikanischen Präsidenten nicht verübeln. Und er hat gelernt aus seinen Fehlern. Von einem einseitigen Rückzug amerikanischer Truppen aus dem Balkan ist nicht mehr die Rede, die Verhandlungen mit Nordkorea wurden wieder aufgenommen, über die Raketenabwehr soll es enge Gespräche mit den Verbündeten und Russland geben, im Nahen Osten wird sich Washington wieder stärker engagieren, und die mit der globalen Erderwärmung verbundenen Gefahren werden jetzt ernst genommen. Langsam bewegt sich Bush auf die Europäer zu.

Werden sie das würdigen? Oder werden sie, angestachelt durch das Spektakel um die Hinrichtung von Timothy McVeigh, ihre Stereotypen kultivieren? Bush will den Verdacht des Isolationismus ausräumen, die Gemeinschaft der Alliierten bekräftigen, das Bild über ihn und seine Regierung korrigieren und ein Arbeitsverhältnis zu Russland aufbauen. Er wird charmant und entgegenkommend sein. Aber wie präsentiert sich der Gastgeber? Die Antwort entscheidet über das Gelingen der Visite. Nicht zuletzt das Votum in Irland hat jenseits des Atlantiks viele Vorurteile über die Handlungsunfähigkeit der Union wiederbelebt. Die Verteidigungsanstrengungen innerhalb der EU lassen ebenfalls zu wünschen übrig. Vielerorts werden in den Armeen nur noch Dauerkrisen verwaltet. Und die Volkswirtschaften sind weiter überreguliert. Jemand betreibe seine Firma im europäischen Stil: Das gilt in Amerika als Schmähung.

Substanzielles ist von der Bush-Reise nicht zu erwarten. Weder wird der Gast bei Kyoto einlenken, noch bei der Raketenabwehr. Die Aufgabe besteht darin, zu einem vertrauensvollen Verhältnis zurückzukehren. Beide Seiten müssen sich als fähig erweisen, die Unterschiede zu respektieren. Mehr als drei Viertel aller Staaten sind keine Demokratien. Das ist mit ein Grund, warum der Widerstand in den USA gegen Beschlüsse der Vereinten Nationen mal latent, mal manifest ist. Es sollte aber Grund genug sein, die transatlantischen Beziehungen als ein besonderes Gut zu pflegen. Bush ist weder Kennedy noch Clinton. Verehren muss Europa ihn nicht. In Verachtung umschlagen darf die gelegentliche Enttäuschung allerdings auch nicht.

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