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Meinung: Bush vor dem Kongress: Wer noch nicht beißen kann, bellt

Tot oder lebendig will Amerika den Terroristen Osama bin Laden haben. Das war die Steckbrief-Formel, auf die US-Präsident George W.

Tot oder lebendig will Amerika den Terroristen Osama bin Laden haben. Das war die Steckbrief-Formel, auf die US-Präsident George W. Bush schon vor seiner jüngsten Rede an die Nation das Hauptziel des absehbaren Militäreinsatzes gebracht hatte. In Europa wird ihm diese martialische Rhetorik gelegentlich verübelt. Warum, so fragen sich viele Menschen besorgt, kann die überraschend besonnene Reaktion der USA nicht von besonnenen Worten begleitet werden? Muss denn nach Rambo klingen, was offenbar gar nicht wie Rambo ausgeführt werden wird? Muss alles Böse dieser Welt, von der Mafia bis zu den Nazis, als Begründung angeführt werden, um den internationalen Terrorismus bekämpfen zu können?

Es muss leider. Gerade weil die Taten auf sich warten lassen, müssen die Worte dramatisch klingen. Gerade weil operative Besonnenheit herrscht, ist rhetorische Überhöhung nötig. Das klingt paradox. Doch seit dem grausamen Dienstag, diesem epochalen 11. September, steht die US-Administration unter Druck. Die verletzte und gedemütigte Bevölkerung will den Gegenschlag - schnell und massiv. Diesem Druck hat Bush widerstanden. Er will überlegt, umfassend und gezielt vorgehen. Das aber dauert seine Zeit. Um diese Zeit zu schinden, ohne der Untätigkeit geziehen zu werden, muss Bush gelegentlich zu verbalen Schlägen ansetzen. Er muss bellen, weil er noch nicht beißen kann.

Hinzu kommt, dass nichts in Demokratien so schwierig ist, wie das Volk für eine länger anhaltende bewaffnete Auseinandersetzung zu gewinnen. Diktatoren können befehlen, Charismatiker den Joker der ewigen Erlösung ziehen. Das bleibt demokratisch legitimierten Politikern verwehrt. Sie müssen Menschen, die tendenziell bequem, opferunwillig und egoistisch sind, davon überzeugen, dass es richtig ist, für ein höheres Gut auf gewohnte Annehmlichkeiten zu verzichten. Das gelingt für gewöhnlich nur, wenn der Krieg relativ risikofrei und kurz ist. Aus US-Sicht war das im Golfkrieg und im Kosovo der Fall. Aber auch das Vietnam-Debakel ist noch präsent. Oder die Schmach von Somalia. Dort sollten Millionen Hungernde gerettet werden. Nach dem ersten Anschlag auf US-Soldaten zog die Armee schockiert ab.

Bush weiß wohl, dass die eigentliche Bewährungsprobe erst noch auf ihn zukommt. Bislang hat der Präsident keinen Fehler gemacht. Der Höhepunkt war seine Rede in der Nacht zum Freitag europäischer Zeit. Resolut, konzentriert und in einer Tonlage, die dem Ernst der Lage angemessen ist, hat Bush die Ziele des kommenden Kampfes formuliert, im In- und Ausland um Rückhalt geworben, seiner Entschlossenheit Ausdruck verliehen und um Toleranz gegenüber dem Islam gebeten. Es waren die richtigen Worte zur richtigen Zeit. An diesem Tag im amerikanischen Kongress hat Bush zum ersten Mal wahrhaft präsidiales Format gezeigt.

Eines der vielen Probleme, die auf ihn warten, deutet sich bereits an. Nicht nur die Taliban-Miliz, sondern auch gemäßigte arabische Politiker fordern "überzeugende Beweise" für die Verantwortlichkeit Osama bin Ladens. Wahrscheinlich gibt es solche Beweise. Aber publik machen kann sie die US-Regierung nicht, weil es sich zum Teil um geheimdienstliche Erkenntnisse handelt. Gerade im Kampf gegen den Terror darf der Gegner nicht wissen, was man selbst weiß. Wenn Amerika die Effizienz des Gegenschlags nicht beeinträchtigen will, muss es die Öffentlichkeit über viele Einzelheiten seiner Aufklärungsarbeit im Dunkeln lassen.

Das wiederum stellt auch die Europäer vor besondere Herausforderungen. Sie können in den nächsten Wochen abseits stehen oder den Vereinigten Staaten "auf Treu und Glauben" folgen. Eine gleichberechtigte Einbindung in Beweis-, Planungs-, Ziel- und Zeitpunktsfragen wird es nicht geben. Der Begriff der Solidarität wird deshalb ohne Zweifel arg strapaziert. Sich in tiefster Trauer und größtem Zorn zu Amerikanern zu erklären, war dagegen vergleichweise leicht.

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