Rahmi Turan hält durch. Woche für Woche fährt der türkische Journalist von Nürnberg nach München, um für die Tageszeitung „Sabah“ über den NSU-Prozess zu berichten. Turan übernachtet nur selten in München, wo die Hotels teuer sind und die Preise noch kräftig steigen, wenn eine Messe ansteht oder das Oktoberfest. Also fährt er morgens in Nürnberg los, abends zurück, so geht es von Prozesstag zu Prozesstag. Warum macht er das? Warum nimmt er seit zwei Jahren den Stress auf sich, in der Nacht anzureisen, dann hoch konzentriert im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München der Verhandlung zu folgen, einen Bericht zu schreiben und abends wieder im Auto oder im Zug zu sitzen?
Turan fällt die Antwort nicht schwer. „Weil wir unmittelbar das Interesse der in Deutschland lebenden Türken vertreten“, sagt er, „und weil wir den Glauben an den Rechtsstaat und die Gerechtigkeit nicht verloren haben“. Das ist ihm der Stress wert. Und Turan ist überzeugt, mit der Berichterstattung über die Verbrechen der Terrorzelle NSU, vor allem über die Morde an acht türkischstämmigen Migranten, einen ganz eigenen Akzent in der Medienlandschaft in Deutschland zu setzen. „Wir verstehen die emotionale Sprache der Opferfamilien“, sagt Turan. „Wir haben das Privileg, Deutsch und Türkisch mit Ihnen reden zu können. Deshalb versteht man besser, was die Familien denken und fühlen.“

Der Prozess ist ein Stück Zeitgeschichte
Da fallen einem als erstes die Tränen und lauten, schmerzvollen Worte von Ismail Yozgat ein. Sein Sohn Halit war am 6. April 2006 in dessen Internetcafé in Kassel von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen worden. „Er war mein Lämmlein“, rief der Vater bei seiner Zeugenaussage im Prozess, „mit meinen Händen habe ich meinen 21-jährigen Sohn ins Grab gelegt.“ Turan sieht in seiner Wahrnehmung des Leids der türkischen Landsleute einen Unterschied zu den deutschen Zeitungen und Sendern, ohne sie abwerten zu wollen. Zumal er ein wenig deren Arbeit beneidet. „Deutsche Medien haben mehr Informationsquellen und Möglichkeiten für eine ausführliche Berichterstattung“, sagt er.
Von den anfangs fünf türkischen Kollegen im Prozess sei er der einzige, der noch immer zur Verhandlung kommt. Dennoch ist der Auftritt der Medien bei diesem Jahrhundertverfahren mit jetzt 200 Prozesstagen untrennbarer Teil eines historischen Ereignisses. Ein Stück Zeitgeschichte, vergleichbar mit den Prozessen gegen die linken Terroristen der Roten Armee Fraktion. Auch damals, in den späten siebziger Jahren, wurde die rechtliche Aufarbeitung der RAF-Taten von den Medien intensiv verfolgt, um zu erkennen, wie sich eine Gruppe aus der Mitte der Gesellschaft heraus so stark radikalisieren konnte. Der Stammheim-Prozess 1977 war von heftigen Kontroversen begleitet.
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- Ein turbulenter Prozess-Auftakt
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