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Meinung: Chile: Sie hatten ihn schon

Augusto Pinochet hat geschafft, was er sich vorgenommen hatte: Er ist nicht nur der internationalen Gerichtsbarkeit, sondern nun auch der chilenischen Justiz entwischt. Ein Berufungsgericht hat das Verfahren gegen den 85-Jährigen eingestellt.

Augusto Pinochet hat geschafft, was er sich vorgenommen hatte: Er ist nicht nur der internationalen Gerichtsbarkeit, sondern nun auch der chilenischen Justiz entwischt. Ein Berufungsgericht hat das Verfahren gegen den 85-Jährigen eingestellt. Die Richter sprachen zwar von einer "vorläufigen" Entscheidung. Aber selbst die Gegner des Diktators sind sich ziemlich sicher, dass der Fall Pinochet juristisch vom Tisch ist. Der Mann, der für so viele Morde verantwortlich sein soll, wird seine letzten Tage in Freiheit verbringen können. Viele werden das sowohl in Chile als auch im Ausland lauthals beklagen. Und es hätte nicht dazu kommen müssen.

Es war absehbar, dass der Ex-Diktator in seiner Heimat nicht wegen schwerer Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Einerseits ist die Vergangenheit noch zu nah, zu viele Sympathisanten des alten Regimes gibt es noch. Andererseits ist einem Großteil der chilenischen Gesellschaft das Schicksal des einstigen Machthabers recht egal. Und der sozialistische Staatschef Lagos ist nicht traurig, dass er die Akte Pinochet schließen kann. Verfahren gegen ehemalige Staatschefs im eigenen Land sind immer auch eine Frage politischer Opportunität.

Ähnlich wäre es vielleicht auch Serbien ergangen, wenn es versucht hätte, Slobodan Milosevic vor ein heimisches Gericht zu stellen. Wäre es überhaupt zu einer Anklage wegen seiner Kriegsverbrechen gekommen oder doch nur wegen einer vergleichweise banalen Steuerhinterziehung? Die Frage hat sich mit Auslieferung Milosevics an das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal erledigt. Jetzt ist die Weltgemeinschaft am Zuge. Ihrer Vertreterin Carla del Ponte muss es gelingen, dem serbischen Autokrator die ihm zur Last gelegten schlimmen Verstöße gegen das Menschenrecht nachzuweisen. Eine schwierige, aber gerade deshalb auch sehr verdienstvolle Aufgabe.

Das wäre auch im Fall von Pinochet möglich gewesen. Immerhin gab es gegen ihn einen internationalen Haftbefehl. Immerhin wollte Spanien ihn anklagen. Immerhin hatte man ihn schon in den Händen. Mehr als 16 Monate lebte er in London unter Hausarrest. Dann dürfte Chiles langjähriger oberster Militär im März vergangenen Jahres aber doch noch in seine Heimat zurückkehren. Der Rückflug nach Santiago war der Anfang vom Ende eines Prozesses gegen Pinochet. Daran konnte auch der gute Willen seiner Gegner nichts ändern. Das Interesse der Staatengemeinschaft, Pinochet zur Rechenschaft zu ziehen, war - anders als bei Milosevic - nicht sonderlich groß. Hat irgendjemand ein entsprechendes deutliches Wort der USA vernommen?

Diejenigen, die Pinochet auf jeden Fall vor Gericht sehen wollten, werden sich nun zu trösten versuchen. Mehr oder weniger haben die Richter ja zum Ausdruck gebracht, dass der alte Mann mittlerweile geistig umnachtet ist. Und noch etwas könnnen die Opfer und deren Angehörige sich zugute halten: Viele Monate lang hat sich die Welt mit einem Diktator und seinen Untaten beschäfigt. Auch wenn Pinochet nun noch mal davon gekommen ist - wir erleben derzeit den Beginn eines universalen Rechtsbewusstseins. Globalisierung hat eben auch gute Seiten.

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