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Meinung: Christliche Schwesternspiele

Warum Franz Josef Strauß bis heute das Verhältnis von CDU und CSU bestimmt und kein Bayer so schnell mehr Kanzlerkandidat wird

Von Robert Birnbaum

Was er sagen würde über seine politischen Kinder und Enkel? Beschimpfen vermutlich würde er sie und auf Lateinisch traktieren, sub specie aeternitatis! Wer sich dem Verhältnis der zänkischen Schwestern CDU und CSU nähern will, fängt tunlichst bei ihm an, weil es mit ihm angefangen hat. Was vor Franz Josef Strauß war, wirkt nur noch in Spuren in die Gegenwart hinein. Nein, mit FJS begann es, mit Edmund Stoiber, wäre er Kanzler geworden, hätte es geendet. Dass aus der Kanzlerschaft nichts wurde, dafür müsste die CSU ihrem Vorsitzenden allsonntägliche Dankprozessionen darbringen. Er hat sie gerettet. Aber darüber sind sich nur wenige im Klaren. Und die Wenigen halten den Mund. Periodisch wiederkehrende Edmund-Huldigungen auf den Grünflächen vor der Staatskanzlei, das fehlte noch! Das Verhältnis der Unionsschwestern ist auch so kompliziert genug.

Dass das so ist, liegt offen zu Tage. Die aktuellen Reibungspunkte reichen von A wie „Abendland“ bis Z wie „Zuwanderung“. Aber warum ist das so? Der übliche Hinweis auf Meinungsvielfalt in Volksparteien hilft nicht weiter. Obschon etwas dran ist an der Überlegung, die Thomas Goppel als CSU-Generalsekretär angestellt hat, dass im Streit der Wesenskern der Union liege. Denn „Union“ meint ja nicht „Einheit“, sondern das Gegenteil. Die CDU entstand als ideengeschichtliche Reste-Rampe: Wer nicht an Libera-, Sozia- und anderen -ismus glaubte, landete unter dem breiten Dach der bürgerlichen Volkspartei. Die CSU war anfangs eindeutiger, ist in langen Jahren als Staatspartei aber ebenfalls mächtig in die Breite gegangen. Nur folgerichtig, dass in beiden Parteien die Interessen sehr weit auseinander gehen.

Nur zieht sich eben die Front der Konflikte häufig gerade nicht quer durch die Union, sondern verläuft präzise entlang der Main-Linie. An populären Erklärungsversuchen fehlt es nicht: Die natürliche Rauflust der Bayern ... die Interessengegensätze zwischen der Staatspartei und der Bundespartei ... Alles irgendwie richtig. Aber alles nicht erschöpfend. Nein, um der Sache auf den Grund zu kommen, müssen wir zurück in die Geschichte. Wo wir, cum grano salis, nunmehr wieder FJS begegnen. Mit ihm hat es nicht nur angefangen. Er bestimmt bis heute die Regeln des Spiels.

Um das zu erkennen, müssen wir uns ein bisschen frei machen von der hergebrachten Überlieferung, der zufolge der Politiker Strauß den äußeren rechten Rand der Union markiert hat. Das war die Außensicht. Innerhalb der Union spielte FJS eine andere Rolle. Der Mann, der die Honoratiorenpartei CSU zur Volkspartei gemacht hatte, verkörperte in der eigenen wie in der Sicht großer Teile des bürgerlichen Publikums so etwas wie den ideologischen Nullpunkt der gesamten Union.

Dieser Punkt ließ sich zu jenen Zeiten, in denen die Weltbilder viel fester gefügt waren als heutzutage, für jede gesellschaftlich relevante Frage von A wie „Abtreibung“ bis Z wie „Zone“ bestimmen. Er war aber nicht mathematisch definiert – etwa als Durchschnitt der Meinungen der Parteigänger –, sondern tautologisch. Der Nullpunkt war jener Punkt, auf dem „man“ zu stehen hatte als ein rechter Christlich-Konservativer. Abweichungen nach rechts oder links waren folglich Abweichlertum. Was FJS weidlich zu nutzen verstand. Der Junge Wilde Helmut Kohl oder der Niedersachse Ernst Albrecht sahen sich als „Nordlichter“ verbellt, unstet flackernde Erscheinungen ohne politisch korrekte Verwurzelung.

Kohl hat dem Plagegeist das später mit dem Slogan von der „geistig-moralischen Wende“ heimgezahlt. Die Formel war nicht nur als Abkehr von der sozialliberalen Ära zu verstehen. Sie machte nebenbei dem Praeceptor Germaniae in München die Meinungsführerschaft streitig.

Olle Kamellen? Ja sicher, das ist jetzt ein kleines Vierteljahrhundert her, fand nach heutigen Aktualitätsmaßstäben also im Spätmittelalter statt. Aber Familienbräuche haben ein lebenslanges Beharrungsvermögen. Die ältere Schwester findet die Frisur der Jüngeren noch unmöglich, wenn beider Häupter längst schlohweiß geworden sind. Warum soll es mit dem Zickenzoff der Unionsschwestern anders sein? Strauß hat das Verhaltensmuster vorgegeben. Von ihm stammt das Geprotze, der inszenierte Krawall, der Politische Aschermittwoch. Von ihm der Anspruch, besser zu sein und Recht zu haben. Noch heute lugt hinter all den Leistungsnachweisen, den dauernden königlich bayerischen Wahl- und Wohlstandsrekordmeldungen allemal der FJS hervor.

Auch in umgekehrte Richtung hat der Mechanismus seinen Schöpfer überlebt. Auch die CDU tut immer noch gerne so, als gelte es einen Machtkampf auszutragen. In den 70er Jahren war das eine halbwegs realistische Wahrnehmung. Der Kreuther Trennungsbeschluss der CSU von 1976 löste in der CDU kein Hohngelächter aus, sondern Alarm. Eine bundesweite CSU wäre echte Konkurrenz gewesen. 1991 brauchte Kohl nur noch einen geharnischten Auftritt vor den CSU-Oberen im Kloster Irsee, um den Versuch niederzukartätschen, die CSU nach der Einheit wenigstens nach Ostdeutschland auszudehnen. Sollte heute in München jemand die Bildung eines Landesverbandes Sachsen lautstark erwägen, riefe man ihm den Arzt.

Es könnte also auf beiden Seiten abgeklärte Gelassenheit einkehren. Doch das Spiel geht weiter. Dass es seinen ursprünglichen Charakter in unseren ideologisch säkularisierten Zeiten verloren hat, tut der Sache keinen Abbruch. Es gibt ja viel zu viele, die davon profitieren. Gewiss, wer heute wie eo ipso FJS versuchen würde, seinen Überlegenheitsanspruch auf altüberlieferte Grundsätze zu stützen, riskiert als störrischer Altbauer ins Austraghäusel gesperrt zu werden wie der arme Norbert Blüm beim Kampf gegen die Kopfpauschale. Recht zu haben ist auch in der Union nicht mehr eine Frage der richtigen Gesinnung, sondern des besseren Taschenrechners. Der Straußsche Nullpunkt ist irrelevant geworden. Mit Folge für die Geschwisterbeziehung: Seit niemand mehr beanspruchen kann, die ewige Wahrheit zu verkörpern – auch ein wiedergeborener FJS könnte es nicht –, hat der Streit um Führung seinen Charakter verändert. Seine Regeln aber nicht. Er wird weiter wie ein Glaubenskrieg geführt, ist aber nur noch die Simulation davon.

Eine dieser Regeln sieht vor, dass die Attacke aus dem Süden kommt. Schon wieder eine Tautologie übrigens. Warum? Weil Angriff in umgekehrte Richtung unmöglich ist. Die CDU kann die CSU ärgern, demütigen, ausgrenzen. Aber auf eigenem Gebiet, in Bayern, sind die Christsozialen souverän. Die Immunität reicht bis in die bayerische Enklave in Berlin: Der Fraktionsvertrag von CDU und CSU sieht ausdrücklich vor, dass sich die CSU bei Fragen grundsätzlicher Natur nicht der Mehrheit beugen muss.

Umgekehrt erhebt die CSU bundespolitischen Anspruch. Theoretisch erkennt das jeder an. Praktisch finden es viele Christdemokraten ungerecht. Sie behandeln abweichende Ideen aus dem Voralpenraum wie kriegerische Einmischung in innere Angelegenheiten.

Was natürlich mit daran liegt, dass die Bayern jeden Einfall mit Fanfare vorzubringen pflegen. Doch können sie überhaupt anders? Die CSU ist eine Heldenpartei. Vom kleinsten Ortsparteichef bis zum Großen Vorsitzenden – unter Supermann tun sie’s nicht. Wer den Unterschied zur geschäftsmäßig machtbewussten Volkspartei erleben will, gehe auf Parteitage. Die der CDU fangen damit an, dass die Vorsitzende ans Pult tritt, die Anwesenden begrüßt und ein paar Worte zum Formalen sagt. Die der CSU beginnen mit dem Einzug des Häuptlings unter tosendem Jubel und Bayern-Hymne.

Wahrscheinlich ist dieser Habitus sowohl Folge als auch Bedingung jahrzehntelanger Alleinherrschaft. Die Mehrheit von 50 plus X ist ein Zaubertrank, den FJS hinterlassen hat. Die CSU weiß, dass sie den hüten muss wie sonst nichts auf dieser Welt. Ohne das hochprozentige Aufputschmittel ist es sofort vorbei mit der Sonderrolle. Deshalb darf beim Wähler nie der leiseste Zweifel aufkommen, dass die CSU für ihn die beste, klügste, sozialste, effektivste – eben eine Partei von lauter Helden ist.

Es gibt eine einzige Konkurrenz, die diesen Anspruch ständig latent gefährdet. Oh nein, das ist nicht die SPD. Das ist die CDU. Von ihr muss man sich abgrenzen. Das ist der Grund, warum die CSU von ihrer Führung und speziell vom Vorsitzenden erwartet, dass er die weiß-blaue Fahne gegen die Schwester schwingt. Mit der CDU zu raufen ist alleweil legitim.

Das weiß aber natürlich auch die CDU. Sie nutzt es auf ihre Weise. Vordergründig jammern sie gern über Unberechenbarkeit und Eigentümelei und darüber, dass die Bayern immer überall mitreden wollen. Im Stillen ist ihnen das meist ganz recht. Helmut Kohl hat in 16 Koalitionsjahren die Kunst perfektioniert, CSU und FDP sich gegenseitig im Schach halten zu lassen – und die eigene Partei gleich mit zu domestizieren: Tut mir leid, Leute, aber die Koalitionspartner… Der Mechanismus funktioniert bis heute und wird es bedarfsweise morgen wieder tun. Die CDU-Chefin Angela Merkel hat es dem Alten gut abgeschaut, sich die CSU zum unfreiwilligen Verbündeten zu machen. Manchmal, indem sie deren Geltungsdrang nutzt und den CSU- Chef – so viel Union war nie, Edmund! – bei brisanten Beschlüssen in Mithaftung nimmt. Manchmal, indem sie den latenten Dauergroll der CDU sich frei entfalten lässt gegen die Besserwisser im Süden. So oder so kann der CDU-Chefin kaum Besseres passieren, als dass sich die CSU in einem Streit auf eine Seite schlägt. Das klärt meist rasch die Verhältnisse in der CDU. Zweikampf erzwingt Zusammenhalt. Verläuft die Front erst mal am Main, gilt nur noch: Wir oder die!

Wobei die große Schwester der kleinen schon mal einen Erfolg gönnt. Wenn er ihr selbst nützt. So kam Edmund Stoiber zur Kanzlerkandidatur – Spätfolge der Spendenaffäre, die die Machtverhältnisse in der CDU derart verwirbelt hatte, dass die Kronprinzen gerade stark genug waren, um der Prinzessin mit Hilfe des Stiefbruders den Thron zu verwehren. Zur Begründung des Manövers haben sie noch einmal in die Mottenkiste gegriffen. Das zentrale Argument für Stoiber war: Er könne besser als das Fremdgewächs Merkel die Unionswählerschaft ansprechen. Die Kronprinzen haben das keine Sekunde ernst gemeint. Stoiber schon.

Es war in der Geschichte der zänkischen Schwestern vielleicht der ironischste Moment. Vor aller Augen hatte die CSU erreicht, was sie in so vielen Konflikten immer angestrebt hatte: Die Führungsrolle. Aber nicht aus eigener Kraft – und nur, um sie wieder abzugeben. Kaum gab der CSU-Chef den Ton vor, musste er ihn ändern. Seiner Chancen bei den Nordlichtern wegen klang er nun fast wie CDU.

Schade, dass der Ober-Bayer so gar nicht über Selbstironie verfügt. Er hätte seine Situation besser erkannt: als Instrument. Er hätte hinterher nicht versucht, an der Führungsrolle festzuhalten. Da hat ihm der FJS im Ohr gesessen, das ist ihm übel bekommen. Die CDU ist längst wieder ganz die große Schwester, und überheblicher und stärker als je zuvor. Aus Bayern wird auf lange kein Kanzlerkandidat kommen. Absolute Mehrheiten erobert jetzt sogar ein Ole von Beust. Also – schleichts euch!

Die CSU aber kann über all dies nur – heilfroh sein! Was wäre denn gewesen, hätte Stoiber die Wahl gewonnen? Der Herr Bundeskanzler hätte keine Separatpolitik für Bayern machen können. Er hätte Politik für Deutschland machen müssen, und das heißt: CDU. Die Bayern hätten, nolens volens, die Streitaxt des Stammvaters begraben müssen an einer Biegung der Isar. Hätten sie sie gegen den eigenen Chef erheben sollen?

Aber sie hätten es doch getan, irgendwann – tun müssen. Der FJS wäre ihnen im Schlaf erschienen und hätte sie verfolgt mit ganz grässlichen lateinischen Flüchen! Und nur einen einzigen Weg hätte es gegeben, den Geist zu bannen. Spätestens im Januar 2004, abends am Kaminfeuer des Wildbads Kreuth, hätte Edmund Stoiber seiner CSU einen historischen Beschluss abringen müssen: Die Vereinigung der Schwestern zur CSDU.

Vielleicht hätten sie es eingesehen. Vielleicht nicht. Aber dann wäre ihm nichts übrig geblieben als einsam in das Schneetreiben im Tegernseer Tal hinauszuwandern und zu tun, was ein Mann tun muss. Er hätte sich selbst geopfert. Er hätte Laurenz Meyer angerufen und wäre in die CDU eingetreten.

So aber ist alles geblieben, wie es war. Na ja, beinahe. Die nächsten Jahre werden für die CSU auch nicht einfach. Für den Vorsitzenden schon gar nicht. Dem Edmund Stoiber hat die Kandidatenzeit gefallen, und dass er die Einheit der Union verkörpert hat. Wer aber den Horst Seehofer hört zum Beispiel, wie der neuerdings gegen das Kompromisslertum wettert, bei der Zuwanderung zum Beispiel – dem schwant, dass sich etliche nicht damit begnügen werden, ihrem Vorsitzenden nicht zu huldigen. Sie danken es ihm obendrein alles nicht. Wundere sich keiner, wenn Horst Seehofer demnächst anfängt Lateinisch zu reden.

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