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Das kleine braune Holzkreuz im linken Bildrand über der Tür sorgt für Aufregung.

© dpa

Christliches Kreuz beim NSU-Prozess: Eine Provokation

Natürlich bedroht das Kreuz im Gerichtssaal niemanden. Doch Malte Lehming fragt sich, ob man es einem Muslim als Dreistigkeit verübeln kann, wenn er es als bedrohlich empfindet?

Es ist ein Thema, bei dem der Anlass in keinem vernünftigen Verhältnis zur Erregung zu stehen scheint. Einer von sechs türkischen Parlamentariern, die am Montag den Beginn des NSU-Prozesses in München verfolgt hatten, beschwerte sich anschließend über ein schlichtes Holzkreuz, das im Gerichtssaal hängt. Das christliche Symbol verstoße gegen die Prinzipien des säkularen Rechtsstaats, sagte er, es sei eine „Bedrohung“ für alle Nichtchristen. Prompt entlud sich ein Empörungsgewitter. Anmaßung, Unkenntnis, Einmischung, Belehrung – das waren eher noch höfliche Entgegnungen. In Onlinekommentaren und sozialen Netzwerken ging’s weitaus derber zu. Man hätte den Mann auch einfach ignorieren können.

„Was trifft, trifft auch zu“, hat Karl Kraus einmal gesagt. Von daher muss der heilige Zorn, den selbst Agnostiker und Atheisten dabei empfinden, wenn ein Türke die Entfernung eines Kreuzes aus einem deutschen Gerichtssaal fordert, als Symptom verstanden werden. Das christliche Kreuz als Provokation: Erst durch die Brille eines Nichtchristen offenbart sich plötzlich eine Bedeutungsdimension dieses Symbols. Den einheimischen Beobachtern des Prozesses war dieses Kreuz gar nicht aufgefallen. In der Feststellung, dass die meisten Opfer der rechtsextremen Terrorzelle nicht nur Türken, sondern eben auch Muslime waren, fehlte im religiös unterkühlten Land der Täter offenbar die Einsicht in die volle kulturelle Komponente der juristischen Aufarbeitung ihrer Mordserie.

Natürlich bedroht das Kreuz niemanden. Aber muss man es einem Muslim als Dreistigkeit verübeln, wenn er es als bedrohlich empfindet? Ins Negative gewendet nimmt er damit zumindest all jene Beteuerungen ernst, die dessen Verteidiger ins Feld führen – als Ausdruck der christlichen Prägung und der christlichen Wurzel dieses Landes. Denn es ist eben auch ein Land, das regelmäßig und leidenschaftlich über Selbstverständlichkeiten wie Kopftücher, Beschneidungen und Moscheebauten diskutiert.

Es gibt gute Gründe keine Kreuze aufzuhängen

Umgekehrt deutet die Vehemenz, mit der nun für das Kreuz im Münchner Gericht gestritten wird, auf mehr hin als Treue zu einer lieb gewonnenen Tradition. Das Kreuz steht auch für eine stärker kulturell als religiös zu charakterisierende identitätsstiftende Abgrenzung zum Islam.

Dabei gibt es gute Gründe, sowohl in Schulen als auch in Gerichtssälen auf Kreuze ganz zu verzichten. Der Staat hat eine religiöse Neutralitätspflicht, er darf sich weder auf eine Weltanschauung berufen noch eine bevorzugen. Das Kreuz ist das herausragende Symbol des Christentums. Es betrifft den Kern des christlichen Glaubens und lässt sich nicht auf allerweltshumanitäre Begriffe wie Nächstenliebe oder Barmherzigkeit reduzieren. Menschen haben Freiheiten. Dazu zählt die Religionsfreiheit, die mit allen Kräften verteidigt werden muss. Doch der Staat hat eine solche Freiheit nicht. Zu seinen obersten Interessen sollte es gehören, als in jedem Sinne unparteiisch wahrgenommen zu werden.

Ein Christ, der Angst hat vor dem spirituellen Substanzverlust einer Gesellschaft, die auf Kreuze in Klassenzimmern und anderen öffentlichen Gebäuden verzichtet, hat vor allem eines – einen schwachen Glauben. Ein fester Glaube gedeiht oft auch durch Abstand zum Staat. Sich diesem anzudienen, um seiner Pfründe teilhaftig zu werden, entehrt jedenfalls. Auf die Botschaft des Kreuzes zu vertrauen, ist das eine, sich an Kreuze in Gerichtssälen zu klammern das andere.

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