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Darüber spricht ganz …: … Grönland

Vor knapp drei Wochen erschoss sich ein 16-jähriger Grönländer. n demselben Ort probten in der darauf folgenden Zeit 15 weitere Jugendliche den Freitod. André Anwar über eine nicht ganz untypische Selbstmordwelle unter Jugendlichen.

Vor knapp drei Wochen erschoss sich ein 16-jähriger Grönländer in dem 1800 Einwohner zählenden, an der Ostküste liegenden Städtchen Tasiilaq mit einem Gewehr. Sein Beispiel machte Schule. In demselben Ort probten in der darauf folgenden Zeit 15 weitere Jugendliche den Freitod, meist in völlig betrunkenem Zustand. Der Ortspolizeichef Kristian Sinngertaat warnt in dänischen Medien bereits vor einer Selbstmordwelle: „In meinen 28 Jahren als Polizist in Tasiilaq habe ich noch nie so viele Selbstmordversuche erlebt.“

Psychologische Hilfe für die Jugendlichen gibt es in Tasiilaq kaum. Die einzige Psychologin am Ort sei schon seit langem völlig überfordert und krankgeschrieben, sagte Sinngertaat der dänischen Tageszeitung „Politiken“. Die jungen Leute würden mit ihren Problemen allein gelassen, die Polizei selbst könne nicht viel tun: „Wir bringen die Jugendlichen nur zum Arzt. Der gibt ihnen eine Spritze, damit sie ausschlafen können. Wenn das nicht hilft kommen sie in die Ausnüchterungszelle.“

Selbstmorde und -versuche häufen sich nicht nur in Tasiilaq. Auf der teilautonomen, zum Dänischen Königreich gehörenden Insel Grönland mit seinen rund 56.000 Einwohnern und einer Fläche, die sechsmal so groß ist wie die Deutschlands, ist der Freitod weit verbreitet. Würde Grönland in internationalen Statistiken nicht in die Dänemarks integriert, wäre das Land heute mit Abstand der traurige Europarekordler des Freitodes. Im Jahr 2006 nahmen sich 58 Grönländer das Leben. Die Selbstmordrate Grönlands liegt damit bei mehr als 100 Personen pro 100.000 Einwohner. Im eigentlichen europäischen Spitzenreiterland, dem baltischen Staat Litauen, sind es 44. Dänemark liegt bei zwölf Menschen pro 100.000 Einwohner, Deutschland bei 14.

Vor allem grönländische Jugendliche an der trostlosen Ostküste, die hauptsächlich aus kleinen, weit voneinander entfernt liegenden Betonsiedlungen besteht, gehören zur am meisten gefährdeten Gruppe. Dort hat nach einer Untersuchung der Autonomiebehörde die Hälfte aller männlichen Jugendlichen mindestens einmal versucht, sich umzubringen. Aber auch Mädchen sind betroffen: Zwanzig Prozent der Grönländerinnen zwischen 15 und 17 Jahren haben bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Weil auf den weiten Landstrichen die Jagd sehr ausgeprägt ist, gibt es praktisch einen freien Zugang zu Waffen. Der Trostlosigkeit lässt sich allzu leicht ein Ende setzen.

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