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Darüber spricht ganz …: … Irland

Martin Alioth über ein reiches Land, das an seiner Gesundheitsversorgung spart

Das Bezirkskrankenhaus der irischen Provinzstadt Portlaoise sollte weiträumig umfahren werden – jedenfalls von Frauen. Sämtliche Brustuntersuchungen der Röntgenabteilung der letzten vier Jahre mussten überprüft werden: Neun Frauen sind seitdem wegen eines – verschleppten – Brustkrebs behandelt worden, weil ihre Röntgenbilder falsch interpretiert wurden. Weitere 97 Frauen, deren Bestrahlungsdiagnose zu Zweifeln Anlass gab, werden noch einmal untersucht – von Spezialisten aus Dublin.

Der Stuhl der Gesundheitsministerin Mary Harney wackelt. Sie gilt zwar als ehrenwerte und erfahrene Politikerin, aber nach zehn Jahren im Amt mag sie die Bodenhaftung verloren haben. Was die Iren am meisten empört, ist der unmenschliche Umgang mit den falsch diagnostizierten Frauen, das schiere Unvermögen der Gesundheitsbürokratie, sich die bange Ungewissheit von Hunderten von Frauen, die eine Brustuntersuchung in Portlaoise hatten, überhaupt vorzustellen. Das irische Gesundheitswesen ist ein Monstrum: Vor drei Jahren wurden die regionalen Behörden abgeschafft. An ihre Stelle trat eine zentrale Bürokratie, die Health Service Executive, die seither mit über 100 000 Angestellten größte Organisation Irlands. Gewerkschaftliche Abkommen führten allerdings dazu, dass der gesamte Personalbestand übernommen werden musste – mit Lohngarantie. Parallel zur neuen Zentralbürokratie gibt es natürlich immer noch das Ministerium, das aber seither die Verantwortung besser abschieben kann. Doch die Distanz hat ihren politischen Preis: Ministerin Harney erfuhr letzte Woche erst während der Sitzung eines parlamentarischen Ausschusses, dass neben den Röntgenaufnahmen auch die Akten der Bestrahlungen systematisch überprüft wurden. Das Ministerium wusste vorher nicht mehr als die breite Öffentlichkeit.

Die Iren können fast täglich der Zeitung entnehmen, wie reich sie im internationalen Vergleich geworden sind. Umso größer ist die Wut, wenn elementare Dienstleistungen – die Krankenhäuser sind nicht das einzige Beispiel – schäbig und ineffizient sind. Doch die Wähler sind selber schuld: Sie haben immer wieder Parteien gewählt, die ihnen einen sparsamen Staat nicht nur versprachen, sondern auch lieferten. Die ideologische Ziehmutter dieses Rezepts war pikanterweise Mary Harney. Deshalb gibt der irische Staat nur 7,5 Prozent des Volkseinkommens für Gesundheit aus, der EU-Durchschnitt liegt bei 8,7. Dafür gibt es immer mehr private Krankenhäuser und Altenheime. Nur die Menschlichkeit und die Fürsorge, für die Irland einst berühmt war, kann man sich nicht kaufen.

Martin Alioth

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