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Darüber spricht ganz …: … Oberammergau

Mirko Weber über eine Abstimmung, die das Leben der Oberammergauer verändern könnte

Am Schluss geht Jerusalem in Flammen auf. Darüber wird es schätzungsweise Mitternacht werden in Oberammergau. Erst dann kommen die Besucher des „Jeremias“ von Stefan Zweig im Juni aus dem Oberammergauer Passionstheater. Draußen warten die Busse, im Ort die Hotelbetten. Und gastronomisch gesehen geht natürlich nicht mehr viel. Die wenigsten Mägen der mehrheitlich älteren Zuschauer tolerieren um diese Zeit noch einen Schweinsbraten, abgesehen davon, dass ihn ja erst einmal jemand aus dem Rohr holen und servieren müsste. Damit jedoch haben sie sich abgefunden in Oberammergau. Wenn Christian Stückl, der geniale Bub aus dem Dorf, im Frühsommer den „Jeremias“ inszeniert, handelt es sich schließlich um so etwas wie eine Überbrückungsmaßnahme.

Die weltberühmten Passionsspiele nämlich sind erst wieder im Jahr 2010 an der Reihe; Stückl hat sie bereits 1990 und ein Jahrzehnt darauf inszeniert. Er leitet das Münchner Volkstheater und rettete letzte Jahr die Eröffnungsfeier der Fußball-WM in München. Sein Herz allerdings hängt nach wie vor an Oberammergau. Und dieses Herz blutet jetzt. Stückl nämlich wollte die Leidensgeschichte neuerdings so erzählen, dass es zunächst dunkel wird und endlich schwarze Nacht ist, wenn Jesus am Kreuz stirbt. Stückl ist ein vollendeter Theatraliker und macht künstlerisch nur ungern Kompromisse. Traditionell jedoch versammelte man sich zur Passion in der Früh und war bei Einbruch der Dämmerung längst durch und im Wirtshaus. Gleichwohl hatte der Gemeinderat vor zwei Jahren Stückls Pläne mehrheitlich abgesegnet. Auch der Bürgermeister Rolf Zigon war d’accord – und ist es noch. Seit Anfang Mai jedoch existieren mehr als 500 Unterschriften, die allemal für ein Bürgerbegehren gegen den Gemeinderatsbeschluss reichen. Stückls Kritiker befürchten Mehrkosten für die Beleuchtung und Unannehmlichkeiten für die Zuschauer. Insgeheim wird das Schweinsbratenargument die größte Rolle spielen. Stückl sagt nicht ganz zu Unrecht, dass dieselben Leute schließlich auch aus der Arena in Verona noch um 23 Uhr heimfänden, und ist es überhaupt ein bisschen leid, dass immer „aus einer bestimmten Ecke“ im Dorf gegen ihn intrigiert werde. Sollten die Bürger von Oberammergau bei der Volksabstimmung heute gegen Stückls Nachtaufführung stimmen, müssten sie sich nach Lage der Dinge wohl einen neuen Spielleiter suchen. Aber vielleicht redet man ja dann noch einmal miteinander. Zum Beispiel bei einem Schweinsbraten.

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