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Meinung: Das "68er-Syndrom": Mitfühlend konservativ - Ein Gastkommentar von Roger Boyes ("The Times")

Ach, 1968. Ich war 16 und spielte Cricket in einem britischen Internat, weshalb ich eher Bälle warf als Molotow-Cocktails.

Ach, 1968. Ich war 16 und spielte Cricket in einem britischen Internat, weshalb ich eher Bälle warf als Molotow-Cocktails. 1973 jedoch verbrachte ich mein Sommersemester in Frankfurt. Seltsamerweise traf ich weder Hans-Joachim Klein noch Ulrike Meinhof oder irgendein Mitglied des heutigen Kabinetts. Die große Mehrheit der Studenten verstand kaum, was auf der Straße geschah. Wir verschliefen die Revolution. Zu ihren besten Zeiten hatten die Revolutionären Zellen nie mehr als 100 Mitglieder.

Kurz gesagt: Es gibt keine 68er Generation. Bill Clinton - der gegen den Vietnamkrieg protestierte, Marihuana rauchte, sexgeil war - ist nur scheinbar ein Gegenbeispiel. Heute haben wir George W., im selben Alter wie Clinton, aber sein Leben ist eine Kopie des Lebens seines Vaters. Die logische Schlussfolgerung: Das Pendel schwingt zurück, weg von den Werten von 1968 und hin zu einer christlich begründeten Moral. Die konservativen Parteien, die sich nicht gerade im tiefen Winterschlaf befinden, sehen in Bush eine große Gelegenheit. Die Politik des Dritten Wegs der Blair-Schröder-Bande basierte auf Doppeldeutigkeit. Weil sie um die Stimmen der neuen Mitte warben, waren sie nie in der Lage, klar Position zu beziehen. Der Kosovo-Konflikt, zum Beispiel, wurde im Namen der Menschenrechte geführt, ließ jedoch Milosevic an der Macht und half den Banditen der Kosovo-Befreiungsarmee, ihr Drogengeschäft auszubauen. Nicht zum ersten Mal wurde Blut vergossen, um politische Unentschlossenheit zu verbergen. Die Frage ist: Kann die CDU von Bush profitieren? Dafür müsste sie klare moralische Grenzen ziehen zwischen den erwachsenen 68ern bei Rot-Grünen und den eigenen Überzeugungen. William (La) Hague in Großbritannien glaubt, er könne Blair mit "mitfühlendem Konservativismus" besiegen. Angela Merkel versucht dasselbe.

Aber für sie ist das schwieriger. Einige der Werte der 68er sind längst in die CDU vorgedrungen - warum sonst posiert Friedrich Merz als James Dean? Der geistige Bürgerkrieg der konservativen Presse zeigt, wie emotional die 70er für alle politisch denkenden Deutschen waren. "Welt"- und "Bild"-Autoren können sich nicht einigen, ob die Springer-Blätter 1968 mit Worten geschmissen haben wie die anderen mit Steinen, die Ressorts der "FAZ" bekämpfen sich wie Kampfflieger. Schwer vorzustellen, welchen Reim sich 30-jährige Leser auf diese Zeitungskatharsis machen. Hey Jungs, wir sind im Jahr 2001! Wie kann die CDU die moralische Lufthoheit behaupten, wenn sie ihre politischen Gegner kriminalisiert? Da herrscht wenig "Mitfühlender Konservativismus". Auch George W. Bush und William Hague haben Raubeine wie Laurenz Meyer in ihren Teams, aber sie verstecken sie. Herr Meyer sollte nicht in vorderster Linie kämpfen.

Der Autor ist Korrespondent der britischen Zeitung

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