zum Hauptinhalt

Meinung: Das aktuelle Buch: Wende light

Der 7. November 2000 war nicht nur der Beginn einer fünfwöchigen Zitterpartie für jene beiden, die Bill Clinton im Weißen Haus nachfolgen wollten.

Der 7. November 2000 war nicht nur der Beginn einer fünfwöchigen Zitterpartie für jene beiden, die Bill Clinton im Weißen Haus nachfolgen wollten. Der unentschiedene Wahltag in den USA zerrte auch an den Nerven mehrerer deutscher Verlage. Zum Weihnachtsgeschäft, spätestens zum neuen Jahr, liegen üblicherweise die ersten Biografien neuer US-Präsidenten vor.

Diesmal kam alles anders. George W. Bush ging als später Sieger aus der Patt-Wahl hervor, nachdem am 12. Dezember der Oberste Gerichtshof weitere manuelle Nachzählungen in Florida ohne klare und einheitliche Kriterien für die Gültigkeit der umstrittenen Stanz-Wahlkarten für verfassungswidrig erklärte. So dauerte es auch ein wenig länger, bis die erste Bush-Biografie erschien. Jetzt liegt sie vor - und kündigt schon im Titel eine "Wende" in den USA an.

Die beiden Autoren, die Washingtoner "Zeit"-Korrespondentin und ein freier Radio-Journalist, haben sich für eine unübliche Gliederung entschieden. Die Hälfte ihres Buches widmen sie einer klassischen, chronologischen Biografie, in die bereits strittige Sachthemen wie die Todesstrafe in Texas eingestreut sind. Die zweite Hälfte ist thematisch geordnet und diskutiert die Felder, die wahlentscheidend waren und nun Bushs Programm ausmachen: von der Abtreibung bis zur Waffengesetzgebung.

Neorealistische Politik

Ist Bush nun ein in seiner Legitimität geschwächter Präsident? Der Verlauf der Wahl habe "der Autorität seines Amtes schwer geschadet", finden die Autoren. Chaos habe den Wahlausgang bestimmt, keine Verschwörung. Die ersten Wochen der Bush-Regierung zeigen, dass die Wut einiger linker Demokraten über die "gestohlene" Wahl rasch verflog. Das Land hat einen Präsidenten akzeptiert, der an direkten Stimmen weniger einfuhr als Al Gore.

Die These von der Wende belegen die Autoren am klarsten in der Außenpolitik. Als "Neorealismus" charakterisieren Petra Pinzler und Günther Wessel Bushs Linie. Washington werde sich auf die wesentlichen Probleme und die strategischen Herausforderungen konzentrieren. Doch beim Verständnis dessen, was Herausforderungen sind, sei Bush in den 80er Jahren stecken geblieben. Deshalb die vielen Berater des Vaters, deshalb die harte Linie gegen Irak.

In den anderen Bereichen erwarten Pinzler und Wessel eher eine Wende des Stils denn der Inhalte. Immerhin hätten sich "Demokraten und Republikaner in der Analyse der innenpolitischen Probleme inzwischen sehr angenähert". Rente, Krankenversicherung, Bildung: Es "wächst die Gruppe der Zentristen", und zwar in beiden Parteien. Dort, wo Amerikas Politik besonders heftig um Symbole ringt, bei der Abtreibung oder dem Schulgebet etwa, erwarten Pinzler und Wessel eher eine "schwammige Renaissance des guten alten Amerikas" denn eine hartrechte "schnelle Revolution".

Gestern Abend hat Bush in seiner ersten Rede vor dem Kongress seine Sicht der Lage geschildert, sein Budget vorgestellt und seine Gesetzesvorhaben vor allem zur Steuer- und Bildungspolitik. Er hat den Eindruck bestätigt, dass die Wende schleichend sein wird.

Bei einem mit heißer Nadel gestrickten Buch sind viele Flüchtigkeitsfehler entschuldbar. Der Band bietet einen guten Einstieg und, aus europäisch-mitte-linker Grundhaltung, einen fairen Überblick über die Themen. Noch ist mehr kaum zu leisten.

Viele Bücher zum Leben des neuen US-Präsidenten sind noch nicht erschienen. Bushs eigenes Buch "A charge to keep" ist so flach, dass es eine Übersetzung nicht verdient. Der einzige intime Bush-Kenner, der in den USA eine Biografie veröffentlicht hat, ein Journalist aus Texas namens Bill Minutaglio, psychologisiert auf so komplexe Weise, dass es einem Leser aus Übersee kaum gelingt, die Fakten aus seinem Buch "First Son" herauszudestillieren. Äußerst kritisch beleuchtet die Publizistin Molly Ivins in "Shrub" (auf deutsch: ein kurzer Busch) die dünne Karriere des Ex-Gouverneurs. Pinzlers und Wessels Buch ist also nicht nur ein guter Einstieg in die Ära Bush, sondern, mangels Konkurrenz, auch der beste, den es gibt.

Zur Startseite