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Meinung: Das brave Polen war einmal

Die Kaczynski-Brüder befreien das Land endlich vom Kommunismus Von Waldemar J. Ziemnicki

Viele Deutsche mögen die polnischen Zwillinge Kaczynski wegen ihrer fundamentalen rechtskonservativen Haltung nicht. Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Günter Nooke sieht wegen der breiten Kritik an der Vertriebenenausstellung „Erzwungene Wege“ die Medien in Polen sogar schon „gleichgeschaltet“ (was für ein Wort!). Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski hat am Wochenende den Auftritt von Bundespräsident Horst Köhler bei den Vertriebenen „beunruhigend“ genannt – und dafür heftige Kritik einstecken müssen.

Doch so unfair, wie viele Politiker und auch Journalisten gegenwärtig in ihrem Eifer gegen polnische Nationalkonservative geworden sind, sollten sie lieber doch nicht sein. Es scheint, dass die unverhohlene Aggressivität vieler Wortmeldungen in der deutschen Presse gegenüber dem Establishment in Polen eine tiefe Verunsicherung der Deutschen verschleiern soll.

Das Polen von heute lässt sich eben nicht mehr mit Klischees von gestern erklären. Dazu kommt, dass neokonservative Politik und ihre Verbündeten in Polen in der Tat unglaublich selbstbewusst auftreten. Sie verhalten sich auf einmal anders, als man es von Polen erwartet und jahrzehntelang gewöhnt war. Nach 50 Jahren Fremdbestimmung lernen die Polen mit ihren Nationalgefühlen umzugehen und leben diese Gefühle aus. Sie treten jetzt viel souveräner für ihre nationale Interessen ein. Das durften sie in den vergangenen, fremdbestimmten 50 Jahren nicht. Daran ist man in Deutschland, Frankreich oder Russland gar nicht gewöhnt! Aber das ist doch kein Chauvinismus! Natürlich beunruhigt das die Nachbarn Polens, wird hier und da das neuerdings selbstbewusste Auftreten Polens als unverschämte Anmaßung empfunden, war man doch von den Vertretern des polnischen „ancien regime“ konforme und opportunistische Töne gewohnt – übrigens auch noch in den 90er Jahren und Anfang dieses Jahrhunderts. Wen wundert’s. Auch viele Helden der Solidarnosc-Bewegung haben in der Volksrepublik Polen in gebückter Haltung leben müssen.

Die richtige Revolution, die endgültige Befreiung von Kommunismus und Fremdbestimmung findet in Polen erst jetzt, 16 Jahre nach 1989 statt. Im Inneren führt die neue polnische Macht einen erbitterten Kampf gegen die Mafia, zerschlägt kommunistisch unterwanderte Geheimdienste, Korruption und Seilschaften in den Spitzen des Staates und der Wirtschaft. Es ist ein kalter Bürgerkrieg im Gange. Gegner dieses Erneuerungsprozesses – jene Menschen, die Vorteile aus dem schwachen, postkommunistischen Staat, gezogen haben, die Gewinnler der Transformation – tun alles, um gegen die beiden Kaczynskis zu hetzen. „Nützliche Idioten“ in der polnischen oder deutschen Presse, an das brave Polen von gestern gewöhnt, lassen diese Stimmen gerne zu Wort kommen.

Ein bisschen mehr Verantwortung, Respekt für die Wahrheit und mehr Verständnis für den Erneuerungsprozess, den die Brüder Kaczynski in Polen angeschoben haben, aber auch Toleranz für die anders denkenden und anders empfindenden Polen, die nicht mehr nach der deutschen, russischen oder europäischen Pfeife tanzen wollen, sollten die Polen von Deutschland schon erwarten können.

Stattdessen stößt man sich in der deutschen Presse an Äußerlichkeiten, Formsachen und Fauxpas des neuen polnischen Establishments. Es entsteht auch der Eindruck, dass Teile der deutschen Öffentlichkeit sich allzu leicht in der innerpolnischen politischen Auseinandersetzung vor den Karren der Gegner der polnischen Regierung spannen ließen. Statt sich wichtigeren Fragen zu widmen und den Politikern bei der Suche nach wirklichen Problemen zu helfen, schürt man dabei achtlos Vorurteile gegenüber den Polen – als ob wir davon nicht bereits genug hätten.

Der Autor, 54, ist Journalist und Unternehmensberater und nahm 1980 am Streik in der Danziger Werft teil. Er lebt in Berlin.

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