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Meinung: Das Dilemma der Bessergewählten

Einige Grüne kritisieren die Präsidentschaftskandidatin – und meinen den Kanzler

Von Hans Monath

Stärkt es eigentlich die Grünen, wenn Gesine Schwan am 23. Mai in der Bundesversammlung ein respektables Ergebnis erhält? Lange war die streitbare Partei seltsam friedlich. Doch nun haben die Führungsfiguren der Linken die eigene Parteispitze für die Nominierung der streitbaren Uni-Rektorin heftig kritisiert. Dabei geht es um mehr als nur den Ärger einiger Grüner über die Politikwissenschaftlerin vom rechten Flügel der SPD, die vor zwanzig Jahren vor extremen Ideen gewarnt hatte.

Es war der Kanzler, der Gesine Schwan ausgesucht hat, nicht die Grünen. Der kleine Koalitionspartner konnte nur zustimmen. Deshalb ist der Protest gegen die Kandidatin auch ein Warnruf: Passt auf, dass Gerhard Schröder uns nicht überfährt! Denn in der Koalition drohen Konflikte, bei denen es für die Grünen um alles geht.

In China hat der Kanzler ohne jedes Gespür für die Empfindlichkeit des grünen Partners den Export der Hanauer Plutoniumfabrik zugesagt. Wirtschaftsminister Clement gibt im Streit um den Emissionshandel den Schutzherrn der Industrie. Und Innenminister Otto Schily würde in den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz der Union gern Zugeständnisse machen. Schließlich müssen die Grünen ihren großen Partner belauern, ob der bei der Reform der Sozialsysteme auf Kurs bleibt. Wie beim Streit über die Mindestrente genügt eine kleine Minderheit linker Sozialdemokraten, um die Mehrheit der Koalition zu gefährden.

Es ist nicht die eigene Schwäche, die den Grünen zu schaffen macht. Ihre Umfragewerte sind hoch, auch bei der Hamburg- Wahl haben sie zugelegt. Doch der Erfolg hat eine paradoxe Wirkung: Je schwächer, je unsicherer die SPD ist, umso mehr Rücksicht müssen die erstarkenden Grünen nehmen, wenn sie das Klima in der Koalition nicht belasten wollen. Ohnehin wächst beim großen Partner der Groll auf die „Besserwisser“, die zwar die gleiche Politik verantworten, dafür aber vom Wähler belohnt statt bestraft werden..

Doch nur durch Stillhalten sind die Konflikte nicht zu lösen. Die Vorstellung, dass die Anti-Atom-Partei jene Atomtechnologie exportiert, die sie im Inland abgeschafft hat, empört nicht nur die Parteilinke, sondern auch jene Abgeordneten vom Reformflügel, die in den eigenen Reihen als „neoliberal“ verschrien sind. Eine Exportgenehmigung wäre für die Grünen der politische Gau. Verschieben lässt sich die Entscheidung, umgehen nicht. Und einer muss verlieren: Entweder der Kanzler steht als Umfaller da, oder die Grünen müssen sich von den eigenen Leuten als Verräter beschimpfen lassen.

Das Schelten der Präsidentschaftskandidatin lenkt davon nur ab und ist zudem unfair. Denn Gesine Schwan hat nicht die Grünen des Jahres 2004 kritisiert. Sie hatte damals eingefordert, was in der heutigen Regierungspartei längst nicht mehr strittig ist: die Absage an einen nationalromantischen Pazifismus und das Ja zur Westbindung. Das Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol statt des Widerstandsrechts. Vertrauen in die parlamentarische Demokratie statt in die Kraft des Straßenprotests. Nicht die Kandidatin hat ihre Haltung revidiert, das hat die damalige Protestbewegung getan, deren Erben heute in der Regierung sitzen.

Eines ist dabei jetzt schon klar: Die Generation der Grünen, die sich an Gesine Schwans Mahnungen noch gut erinnert, hat viel zu verlieren. So viel, dass sie dem Konflikt mit Gerhard Schröder zu oft auszuweichen versucht. Die Grünen aber, deren Weg mit der rot-grünen Koalition nicht zu Ende wäre, müssen aufpassen, dass sie die taktische Rücksicht auf den Partner nicht mit dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit bezahlen.

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