zum Hauptinhalt

Meinung: Das Ende von Tschernobyl: Leitartikel: Schwester, zur Sonne!

Fast 15 Jahre nach der bis dahin unvorstellbaren atomaren Katastrophe ist es soweit. Um 12 Uhr mittags soll heute in der Ukraine der letzte Atommeiler von Tschernobyl vom Netz genommen werden.

Fast 15 Jahre nach der bis dahin unvorstellbaren atomaren Katastrophe ist es soweit. Um 12 Uhr mittags soll heute in der Ukraine der letzte Atommeiler von Tschernobyl vom Netz genommen werden. Endlich: Der Abschied vom Synonym für die menschengemachten Katastrophe, rechtzeitig zum neuen Jahrtausend. Wenn das kein optimistisches Symbol ist.

Die internationale Gemeinschaft hat jahrelang für das Ende dieses Meilers geworben, und hat ihn schließlich mit Milliarden bezahlt. Immer wieder reichten der Ukraine die Zusagen nicht, immer wieder fand Kiew Gründe, warum diese Zeitbombe weiter ticken sollte. Und sei es auf Kosten von Leben und Gesundheit der eigenen Bevölkerung. 30 000 Menschen sind an den Folgen des Gau vom April 1986 gestorben, sagen Experten. Heute wird die Welt also ein Stück sicherer. Das ist ein Grund zur Freude.

Ein Atommeiler weniger, ein sehr gefährlicher. Doch allein von diesem Typ, dem Typ Tschernobyl, laufen in Osteuropa noch 13 Meiler weiter. Rund 440 Reaktorblöcke bleiben weltweit insgesamt in Betrieb. Und noch ist die Sanierung von Tschernobyl ein Rätsel; denn es gibt kein Vorbild. Welche Folgen nukleare Reaktionen im Innern des damals in Windeseile errichteten und inzwischen brüchigen Sarkophags haben könnten - keiner wagt es abzuschätzen. Die Bedrohung, die das unter dem Betonkoloss eingeschlossene radioaktive Material für das Trinkwasser bedeutet - niemand kann es vorhersagen. Ausschließen wollen Fachleute verheerende Wirkungen nicht. Mindestens zehn Jahre haben sie nur schon für die dringendsten Arbeiten veranschlagt. Doch strahlen wird die Ruine noch sehr viel länger. Und wo das radioaktive Material später je unterkommen kann, weiß auch kein Mensch; denn ein Endlager für solch gefährlichen Müll gibt es nicht. Nirgendwo.

Das sind die Fakten. Trotz alledem hat sich die internationale Gemeinschaft entschlossen, als Ersatz für Tschernobyl wieder Atomkraftwerke in der Ukraine zu finanzieren. Konventionelle Kraftwerke wollte Kiew nicht akzeptieren. Die neuen Akw seien viel sicherer, wird nun zur Beruhigung angeführt. Wen sollte da beunruhigen, dass sogar im sicheren Deutschland Risse in Reaktoren auftauchen, wo sie nicht hingehören? Die Bundesrepublik aber hat gelernt: Sie hat beschlossen, aus der Atomkraft auszusteigen, und das zusammen mit der Industrie. Auch das war in diesem Jahr ein Grund zur Freude. Für uns.

Ein Atommeiler in der Ukraine weniger, ein Land, das aus der Atomkraft aussteigt - bleibt die Frage, wie es mit der Energieversorgung weitergeht. Der tiefe Ausschnitt am silbern glitzernden Kleid von Veronica Ferres ist attraktive Werbung. Er sagt aber nichts aus über die Herkunft des Stroms, der geliefert wird. Strom kommt aus der Steckdose, wie wahr, doch steht kein Absender drauf. Deshalb wird es in Zeiten liberalisierter Strommärkte für keinen Kunden ohne Nachfragen gehen, wenn er sicheren Strom will. Wenn er beispielsweise keinen Atomstrom will.

Noch verhindern oft nicht zu den Westsystemen passende Stromnetze, eigene Versorgungsprobleme und fehlende Privatisierung der Staatsbetriebe in den Ländern Osteuropas die Lieferung dieses "dreckigen" Stroms ins Ausland, nach Deutschland. Aber Geschäft ist Geschäft, und danach richten sich Konzerne. Dann muss man logischerweise davon ausgehen, dass sie auch für diese Vernetzung bald neue Wege schaffen. Vielleicht werden sich auch diejenigen Energiekonzerne daran beteiligen, die erst jüngst dem Atomausstieg in Deutschland zugestimmt haben. Ein Gesetz, das Billigstrom aus der Strahlenfabrik einen Riegel vorschiebt, wäre da durchaus nützlich: Es würde den jahrzehntelang vernachlässigten Ersatzenergien den Weg zum Markt ebnen.

Was internationale Wachsamkeit bewirken kann, zeigt die Stilllegung von Tschernobyl. Und die nach harten Verhandlungen vereinbarte Überprüfung des tschechischen Atomkraftwerks in Temelin. Hat das Umdenken begonnen? Der Spot mit Veronica Ferres wirbt mit Schönheit - für die Kraft des Wassers. Aber Strom ist weder gelb noch blond, sondern modern oder unmodern, sauber oder nicht. Ferres auch für Sonnenenergie? Das wäre ein attraktives Symbol.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false