zum Hauptinhalt

Meinung: Das Geheimnis der Spione

Roger Boyes, The Times

Was für ein fantastischer Tag“, sagte ich zu Robert, einem alten Kollegen. Die Blätter im Grunewald waren ebenso rostig schön wie der 500Euro-Golf eines Studenten. Die Bäume trugen, zum letzten Mal vor dem Winter, Farbe. Und mein erschöpfter, fauler Hund streckte unter strahlendem Sonnenschein zufrieden alle viere aus. Berlin war herrlich in der vergangenen Woche.

„Schrecklich“, sagte Robert. Er arbeitet gerade an einem Dokumentarfilm über das Leben von Len Deighton, dem Autor des Buches „Funeral in Berlin“. Von überaufgeregten Verlegern war Deighton als der Poet der Spionagegeschichten gefeiert worden. Doch das Klischee des Spionagegenres will nun mal, dass der Himmel über Berlin so grau ist wie Krupp-Stahl und dass die Agenten ihre Mantelkragen aufschlagen, um sich vor den eisigen Winden des Kalten Krieges zu schützen. Schade eigentlich, dass das Wetter nicht mitspielte.

Wir machten trotzdem das Beste aus dem vergeudeten Tag; der Kameramann hatte sich ohnehin bereits beschwert. Denn schon immer war es schwierig, Len Deightons (oder John le Carres) Berlin zu finden. Das „Cafe Adler“ an der Zimmerstraße vermittelt zwar immer noch ein authentisches Gefühl. Und in Karlshorst ist es immer noch möglich, sich KGB-Männer vorzustellen, die gerade aus ihren schwarzen Wolgas springen. Aber die Glienicker Brücke zum Beispiel ist kaum mehr als – eine Brücke.

Die meisten Stellen, die einst im Mittelpunkt der Berliner Spionageromane standen, lassen sich allenfalls mit Hilfe der Fantasie rekonstruieren. Ich weiß nicht, was die Stasi in dem Tunnelsystem unter dem S-Bahnhof Friedrichstraße trieb, aber die britischen, amerikanischen und selbst die russischen Agenten mieden es wie die Pest: zu viele Kameras, zu viele Augen. Ein alter Spion, den ich für den Film gefunden hatte, erzählte mir, dass er brisante Dokumente am liebsten in den Toiletten von Supermärkten übergab. Das KaDeWe sei eine der Topadressen gewesen – und so weit ich es beurteilen kann, haben sich die Toiletten dort seit der Kubakrise auch kaum verändert.

Berlin kennt viele solcher Geschichten, doch sie verblassen allmählich. Ein Universitätsfreund erinnert sich, wie er einst von seiner Arbeit bei der BBC-Beobachtungsstation im britischen Caversham zu einem Militärflughafen gebracht, sofort nach Tegel geflogen und dann von einem Soldaten des britischen Geheimdienstes ins Olympiastadion chauffiert wurde. Dort sollte er die Gespräche mit einem russischen Überläufer dolmetschen. Doch als er ankam, hatte es sich der angebliche Überläufer anders überlegt, und mein Freund wurde noch am selben Abend zurück nach Großbritannien geflogen. Seine Frau nahm an, er sei wie immer zur Arbeit gegangen. Sie war nur sauer, weil er nicht eingekauft hatte.

Natürlich gab es seit der Wende ein paar Spionagetreffen in Berlin, aber die waren ziemlich künstlich. Die meisten westlichen Veteranen wollen sich weiter an die Russen als ihren Gegner erinnern, statt eine falsche Kameraderie zu kultivieren. Auf einer dieser Wiedersehensfeiern litt ein pensionierter russischer Agent plötzlich an einer Lebensmittelvergiftung. Prompt begleitete ihn sein amerikanischer Tischnachbar bis zur Toilette – und übergab sich ebenfalls. Später wurde der Amerikaner gefragt, wie es seinem Bauch gehe und ob er sich besser fühle. Er gab zu, die Übelkeit nur gespielt zu haben, aus alter Gewohnheit. „Nichts verbindet zwei Männer mehr als eine gemeinsame Krankheit“, sagte er und zitierte damit womöglich aus einem streng geheimen Handbuch.

Bald werden wieder Spione in Berlin sein. Immobilienmakler suchen schon jetzt Wohnungen für Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Deren Umzug deutet sich langsam, aber sicher an. Im kommenden Monat unterstützt der BND eine Konferenz im Hotel Estrel („Proliferation – Geißel der Menschheit“). Und ich prophezeie, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis August Hanning im Frisiersalon von Udo Walz gesehen wird. Außerdem: Diese Stadt braucht dringend einen aktiven Aufklärungsdienst. Es kann doch nicht sein, dass das letzte Geheimnis das Rezept für Angela Merkels Kartoffelsuppe ist.

Vielleicht sollten wir zu akzeptieren anfangen, dass die romantischen Spionagefiguren aus den Romanen Len Deightons der Vergangenheit angehören. Auf der Webseite des BND (www.bnd.de) wird Bewerbern mit Realschulabschluss und „Interesse an Außen- und Sicherheitspolitik“ (was die meisten Mitglieder von Merkels Kabinett ausschließt) eine Beamtenausbildung angeboten. Das Gehalt fängt bei 817,66 Euro im Monat an. „James Bond im Kino“, heißt es in der Überschrift, „oder lernen, wie’s richtig geht.“

In der Tat, James Bond – gespielt vom Schotten Sean Connery – kam der Realität des MI6 ziemlich nahe. Denn das Rückgrat des britischen Geheimdienstes bildeten nie schlaue Cambridge-Absolventen, sondern harte Schotten, die in der Armee oder den Kolonien gedient hatten. Jetzt indes wirbt auch der britische Geheimdienst (www.mi6.gov.uk), genau wie der deutsche, ganz gewöhnliche Menschen an. Vielleicht trifft man einen davon bald bei Aldi um die Ecke, wie er sein Wechselgeld an der Kasse nachzählt: Mit 817,66 Euro im Monat kommt man nicht weit – besonders dann nicht, wenn man seinen Martini, wie James Bond – geschüttelt, nicht gerührt – trinken möchte.

Der Autor ist Korrespondent

der britischen Tageszeitung „The Times“.

-

Zur Startseite