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Meinung: Das Haus Europa: So werde ich zum Visionär

Wie sieht eine Europapolitik aus, in der nicht alles anders, aber vieles besser ist? Seit dem Wochenende kennen wir die Antwort: Man stelle einen Leitantrag vor, lasse einige Details offen und stelle das Ganze zur Diskussion.

Wie sieht eine Europapolitik aus, in der nicht alles anders, aber vieles besser ist? Seit dem Wochenende kennen wir die Antwort: Man stelle einen Leitantrag vor, lasse einige Details offen und stelle das Ganze zur Diskussion. Mit seiner Forderung, die EU-Kommission und das EU-Parlament zu stärken, schlüpft Schröder in die Rolle des Europäers Kohl. Aber ohne Geschichtsmantel. Schröder bleibt lieber Moderator.

Ohnehin weiß der Kanzler, dass Europa den meisten Menschen Angst macht und allzu viel Impetus gar nicht gebrauchen kann. Also sind die Europa-Forderungen für den SPD-Parteitag im Herbst so gehalten, dass für jeden etwas dabei ist: Die Stärkung der Brüsseler Zentrale für die einen, die Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Nationalstaaten für die anderen. So sieht es also aus, wenn ein Pragmatiker wie Schröder zum Visionär wird.

Überraschend ist dabei, mit welcher Klarheit der Kanzler das Bild einer Brüsseler Staatenkammer nach dem Vorbild des deutschen Bundesrates zeichnet. Damit läuft er seinem Außenminister den Rang als Euro-Vordenker ab. Nebenbei beansprucht er jetzt auch innerhalb der SPD die Federführung für ein Thema, das für viele Sozialdemokraten vor allem eine Zumutung darstellt. Die EU-Kommission ist der natürliche Feind der Kohlekumpel und Landesbanken. Und die soll nun auch noch gestärkt werden? Schröders Parteifreund Clement hätte das sicher anders formuliert.

Dabei ist das Problem, dem sich nun auch Schröder stellt, seit Jahren abzusehen. Durch die Osterweiterung der Europäischen Union droht dem Brüsseler Betrieb endgültig die Lähmung, wenn die EU nicht schleunigst zu strafferen Entscheidungsstrukturen findet. Um dem Dilemma zwischen Erweiterung und Vertiefung der EU zu entkommen, kam die CDU/CSU schon im Jahr 1994 auf die Idee eines "Kerneuropa". Danach sollte es eine Art EU erster und zweiter Klasse für schnellere und langsamere Europäer geben. Die Staaten, die für die zweite Klasse vorgesehen waren, liefen verständlicherweise Sturm gegen "Kerneuropa".

Dass Schröder nun einen neuen Vorstoß wagt, zeugt auch von seiner Lernfähigkeit. Der Kanzler, der sich zu Beginn seiner Amtszeit noch mit ein paar hemdsärmeligen Bemerkungen Krisen im deutsch-französischen Verhältnis auslöste, hat inzwischen Deutschlands Verantwortung für Europa erkannt. Deutschland bleibt der europäischen Integration auch in Berlin verpflichtet - das ist die entscheidende Botschaft des SPD-Leitantrages und auch der Grund dafür, warum das Papier so viel Beifall von der CDU/CSU bekommt. Das Grummeln, das das Papier in London, Paris und Madrid erzeugt, war ähnlich absehbar: Die einen wollen keine Stärkung des Europaparlaments, die anderen fürchten um ihre Strukturmittel - und in Großbritannien sind ohnehin alle "föderalen" Ideen suspekt.

Sicher ist Papier geduldig, zumal wenn es sich um das Papier von Leitanträgen handelt. Und was ist denn von einem Leitantrag zu halten, der obendrein von Europas ferner Zukunft handelt? Der Test, ob es Schröder mit seiner Forderung nach mehr Demokratie und Transparenz in der Europäischen Union ernst meint, steht aber unmittelbar bevor. Die EU steht nämlich vor der Grundsatzentscheidung, ob nach alter Sitte die Staats- und Regierungschefs oder auch Parlamentarier über die nötigen Reformen beraten sollen. Die Einbeziehung von Abgeordneten aus allen EU-Ländern in diesen Prozess ist zwar demokratisch, aber leider auch etwas langwierig. Man darf darauf gespannt sein, welche Variante Schröder bevorzugt - die pragmatische oder die visionäre.

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