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Meinung: Das magische Dreieck

Von Schimon Peres Heutige politische Strategien durchlaufen einen Prozess, der vergleichbar ist mit dem in der Wirtschaft: Sie werden immer globaler. Als die Wirtschaft begann, mehr auf Wissenschaft zu vertrauen als auf Territorium, verwischten die physischen Grenzen immer mehr – zu großen Teilen auch die politischen.

Von Schimon Peres

Heutige politische Strategien durchlaufen einen Prozess, der vergleichbar ist mit dem in der Wirtschaft: Sie werden immer globaler. Als die Wirtschaft begann, mehr auf Wissenschaft zu vertrauen als auf Territorium, verwischten die physischen Grenzen immer mehr – zu großen Teilen auch die politischen. Selbst, wenn die Wirtschaft global geworden ist, Regierungen sind national geblieben. Die Privatisierung diente dazu, dies zu überbrücken: Private Unternehmen wurden multinational, um sich in das globale Netzwerk zu integrieren und aus den Zwängen der nationalen Märkte zu entkommen.

Heute verändert sich auch die Strategie – von einer Welt, in der Feinde nationale Feinde waren hin zu Gefahren, die global sind. Doch während nationale Armeen geschaffen wurden, nationale Feinde zu bekämpfen, gibt es immer noch keine geeignete Antwort auf die globalen Gefahren. Seit dem Moment, an dem man mit ballistischen Raketen rechnen musste, wurde die Raketenreichweite genauso wichtig wie territoriale Nähe. Sobald die Raketen mit unkonventionellen Sprengköpfen versehen wurden, verminderte sich die Wichtigkeit des quantitativen Vorsprungs einer Nation, während sich die Angst vergrößerte. Das gilt auch für den Terror. Er hat die Fähigkeit, einen Ort weitab der eigenen Basis zu treffen, und das ohne vorherige Warnung – auch der Terror ist global geworden. Mit dem Unterschied, dass, anders als in der Wirtschaft, die Strategie nicht privatisiert werden kann. Privatunternehmen können nicht für nationale Sicherheit sorgen. Wenn man Firmen ausgefeilte Waffen zur Verfügung stellen würde, wäre die Einheit der Nation in Gefahr und die Fähigkeit des Staates, als einziger für Sicherheit und Kontrolle über Waffen und die, die sie benutzen, zu sorgen, würde untergraben.

Privatisiert ist die Strategie allerdings auf der Seite des Agressors. Bin Ladens Organisation etwa ist privatisiert, sie arbeitet nicht unter der Rechtsprechung eines Staates, ihr Arm kann viele Winkel der Welt erreichen. Jeder Selbstmordattentäter handelt wie eine private Organisation. Er kann ohne Autorisierung einer Regierung operieren, braucht keine Erlaubnis für das Tragen einer Waffe, noch gelten Grenzen für ihn. Auf der anderen Seite kann die Selbstverteidigung gegen den Terror nicht privatisiert werden. Die Welt hat begriffen, dass sie zum eigenen Schutz in kollektiver Verantwortung operieren muss – national, regional und global. Während jede Nation bereit sein muss, sich selbst zu verteidigen, muss sie auch versuchen, an den gemeinsamen Anstrengungen teilzunehmen, um sich der exterritorialen Gefahr entgegenzustellen. Der Nahe Osten befand sich in einem Prozess der globalen Strategie, bevor er die Fähigkeit entwickelt hatte, an der globalen Wirtschaft teilzunehmen. Er muss sich den neuen Gefahren stellen, während er noch stets hinterherhinkt beim Wahrnehmen der Chancen, die die New economy bietet. Die Region ist mit ballistischen Waffen gesättigt und beginnt damit, sich mit unkonventionellen Sprengköpfen auszustatten - chemisch, biologisch und in der Zukunft auch nuklear, die eine wachsende Versuchung darstellen. Und die Region ist voller Terror-Zellen, die über ein globales Netzwerk verfügen. Deswegen wird der Nahe Osten gerade zu einem globalen Problem. So ist es nicht verwunderlich, dass eine Initiative von außerhalb entsteht, um sich des Nahostproblems anzunehmen.

So wurde kürzlich das „Quartett“ gebildet (USA, EU, Russland und die Uno). Es ist noch keine formale Organisation, hat aber das Potenzial, institutionalisiert zu werden. Die vier Partner erkennen die Führung der USA an. Und die USA erkennt ihrerseits die Notwendigkeit der Partnerschaft an. Seitdem der Kalte Krieg endete, der den Nahostkonflikt am Brennen hielt, haben diese Staaten kein Interesse daran, den Konflikt wieder zu entzünden. Das Quartett ist also nicht das Produkt einer arabischen oder israelischen Initiative, sondern entstand aus dem Bedürfnis zur Partnerschaft. Weder die Araber noch die Israelis sollten ihm den Rücken zuwenden.

Das Interesse des Quartetts besteht darin, die Flammen des Konfliktes zu löschen, die Verbreitung von Terrorismus und die Weitergabe von Waffen zu unterbinden. Das Quartett sollte nicht unterschätzt werden. Ich beziehe mich nicht speziell auf seine militärische Macht oder die Bereitschaft, Armeen in den Nahen Osten zu entsenden. Eine Armee wird benötigt, wenn ein Krieg gewonnen oder ein Friedensabkommen gesichert werden muss. Eine Armee kann kein Abkommen ersetzen. Aber das Quartett kann einflussreich sein mit finanzieller und politischer Hilfe, oder dadurch, dass es die Legitimität eines Staates oder einer Behörde bestimmt – etwa durch das Streichen von oder Hinzufügen zu der Liste terrorfördernder Staaten.

Die Wirtschaft des Staates Israel ist heute zum Teil global, zum Teil national. Wir müssen uns wohl damit anfreunden, dass der Staat auch in Strategiefragen in einem Rahmen agieren muss, der teils global und teils national ist. Er wird an der globalen Strategie teilnehmen müssen, wenn es um globale Gefahren geht und mit der nationalen Armee agieren, wenn es gilt, gegen Feinde vorzugehen. Die Spielregeln im Nahen Osten ändern sich gerade. Statt einem Szenario mit zwei Kontrahenten stehen nun drei Akteure auf der Bühne: beide Seiten plus das globale Engagement in Form des Quartetts, die „dritte Ecke“ des Dreiecks. Und wenn ein Spiel aus drei Teilnehmern besteht, sollte man dem Rat Metternichs folgen: Es ist besser, einer von zweien zu sein als einer alleine.

Wir haben jeden Grund, uns mit diesem neuen Mitspieler zu verständigen. Wir haben kein Interesse daran, dass Terror unterstützt wird oder Atomwaffen weiterverbreitet werden. Denn ohne Terror und ohne Raketen könnten und sollten wir einen wahren Frieden mit den Palästinensern und der arabischen Welt erreichen. Terror ist eine Hürde für den Frieden. Er hindert auch die Palästinenser daran, einen verlässlichen Rahmen aufzubauen, weil jedesmal, wenn eine Organisation schießt oder Terroranschläge verübt, untergräbt das die Vertrauenswürdigkeit der palästinensischen Ziele.

Ägypten und Jordanien haben alles Land und Wasser zurückbekommen, ohne Terror zu benutzen. Auch den Palästinensern wurde die Gelegenheit geboten, einen Staat zu errichten und praktisch alle Territorien zurückzuerhalten, ohne sich auf den Terror zu verlegen. Aber sie lehnten den Vorschlag ab. Stattdessen ließen sie es zu, dass Terrororganisationen die Glaubwürdigkeit der palästinensischen Anliegen unterminierten und Israel dazu zwangen, Sicherheitsüberlegungen über politische Erwägungen zu stellen.

Vielleicht wird es uns mit dem neuen Dreieck gelingen, eine gesunde Partnerschaft zu bilden und eine künftige Gelegenheit zu schaffen, den Friedensprozess wiederzubeleben. Das wird uns allen helfen, die aktuelle politische Zerbrechlichkeit zu überwinden, die beide Seiten in Mitleidenschaft zieht und beiden Völkern einen hohen Preis abverlangt. Wenn wir wieder politische Verhandlungen aufnehmen, wird das beiden Staaten ermöglichen, friedlich nebeneinander zu leben und sich hinzubewegen zur globalen Wirtschaft und so das Wachstum zu fördern statt den Terror, der eine Quelle ist für Armut und Zurückgebliebenheit.

Der Autor ist israelischer Außenminister und Mitglied der Arbeitspartei.

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