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Meinung: Das ökologische Gefühl

Ihre Themen sind wieder aktuell – doch die Grünen stagnieren in den Umfragen

Von Hans Monath

So viel Umweltschutz war nie: Seitdem die Flut fast alle anderen Themen davongespült hat, erläutern Klimaforscher auf allen Kanälen, warum der Treibhauseffekt gefährlich ist. Neben den Helfern auf den Deichen sind Auenschützer und Naturliebhaber die Stars der Stunde. Sie prangern die Begradigung und den Ausbau von Flüssen an. Die Klimakatastrophe, der Anstieg des Meeresspiegels sind nicht mehr nur ferne Behauptungen. Sie erscheinen plötzlich sehr konkret vorstellbar, seit Flutwellen nicht nur chinesische Provinzen, sondern deutsche Wohnzimmer verwüsten. Sogar der Kanzler, bislang nicht als oberster Umweltschützer der Republik aufgefallen, mahnt nun, Ökologie dürfe nicht gegen Ökonomie ausgespielt werden.

Doch stärkt der Wähler in vier Wochen deshalb nun jene parlamentarische Kraft, die das Thema Ökologie schon vor Jahrzehnten gegen alle Widerstände groß gemacht hat? Vertraut er jenen Politikern, die als Erste vor Erderwärmung und Klimawandel warnten? Belohnt er nun, dass die Grünen den Schutz der Auen und den Verzicht auf stromlinienförmige, betonierte Flussbetten schon lange im Programm haben?

Anders gefragt: Könnte in diesem Wahlkampf das Motto „Help the Elb“ erfolgreicher sein als in Sachsen-Anhalt, wo die Partei im Frühjahr mit diesem Thema mobilisierte und den Einzug in den Landtag verpasste? Ein seltsames Phänomen ist zu beobachten: Die urgrünen Themen beherrschen die Debatte, doch gewinnen Schröder und die SPD in Umfragen weit stärker als der kleine Regierungspartner. Die Grünen erleben einen Aufschwung, doch noch hat der mehr mit einem neuen Selbstbewusstsein und dem Gefühl der Bestätigung zu tun als mit handfesten Daten.

Die Flut verändert das Bewusstsein der Wähler: Die Deutschen scheinen plötzlich anrührbar wie nie und zeigen eine so beeindruckende Hilfsbereitschaft, dass sich die These von der egoistischen Gesellschaft als Vorurteil erweist. Der Unterschied aber ist: Während ein tiefgehendes, echtes Solidargefühl das Land bewegt, ist ein ökologisches Gefühl nicht auszumachen.

Irgendwie ist das Seelenleben des modernen Menschen doch altmodisch geblieben: In der Stunde der Not steht die Gruppe zusammen und zeigt ihre starken sozialen Bindungen. Ihre Mitglieder lassen sich beeindrucken von politischer Führung. Aber es gibt auf der Ebene der Emotionen keine Entsprechung für die intellektuelle Einsicht, dass die Not eben auch Folge von Menschenwerk ist, von richtiger oder falscher Politik.

Nichts wäre angesichts der vernichteten Existenzen so abstoßend wie der Gestus der Rechthaberei – das haben die Grünen verstanden. Denn in der Geschichte der Partei gibt es eine abschreckende Parallele: Auch Tschernobyl war eine Zäsur, doch ihr Abschneiden bei der folgenden Wahl enttäuschte die Grünen: Kassandra wählt man nicht. Auf dem kleinen Parteitag am Freitag war denn nicht nur vom Umweltschutz die Rede, sondern auch viel von der solidarischen Gesellschaft und ihren angeblichen Gegnern bei den Liberalen.

Aber die Sache mit dem ökologischen Gefühl ist nicht nur ein Problem der Grünen. Die Werte der Umweltpartei waren schließlich in den vergangenen Wochen nicht für die verzweifelt schlechte Ausgangslage der Koalition verantwortlich, erst die SPD-Trendwende hat das gemeinsame Projekt wieder beflügelt. Die Frage geht an alle Parteien: Wenn ein Umsteuern in der Energie- und Umweltpolitik notwendig ist, wie lässt sich für dieses Ziel eine breite politische Unterstützung mobilisieren? Ein tiefer Schock wie die Flutkatastrophe dieses Sommers genügt dafür offensichtlich nicht.

Die Ausbildung eines Nationalgefühls hat bekanntlich Jahrhunderte gedauert und viele haben daran gearbeitet. Die neue Aufgabe ist etwas anspruchsvoller. Denn für die Entwicklung eines Gefühls ökologischer Abhängigkeit, das den Menschen auf sein Interesse am Erhalt der eigenen Lebensbedingungen hinweist, bleibt weitaus weniger Zeit.

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