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Meinung: Das Private hört der Staat

In Karlsruhe wird die Beschwerde gegen die Wohnungsüberwachung verhandelt

Was unterscheidet den Würstchenverkäufer vom Bundestagsabgeordneten? Für den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, ist es dies: Der Würstchenmann darf am Telefon belauscht werden, der Abgeordnete nicht. Mit solchen kruden Vergleichen bringen die Politiker derzeit ihr Erschrecken darüber zum Ausdruck, wie einfach es ist, in die staatlich gestellte Abhörfalle zu tappen. Man muss gar nichts Böses tun. Es reicht, bei einem anzurufen, den der Staat für böse hält. Und wehe, man sagt etwas Falsches. Dann ist man schnell selbst der Böse.

So ging es im Fall Friedman, dem ein anderer Fall zugrunde liegt, dem wiederum etwas zugrunde liegt, über das man eigentlich nicht spricht. Prostitution ist tabu – aber für die Beteiligten nicht strafbar. Dafür ist die Sache peinlich. Und dass die Berliner Staatsanwaltschaft wohl in der Tat über Namen verfügt, dürfte manchem Herren rote Ohren machen. Auch im Bundestag? Eine Woche liefen die Gerüchte über heiße Leitungen zwischen dem ukrainischen Zuhälterring und etlichen Bundestagsbüros. Auf Drängen des Bundestagspräsidiums erklärte die Berliner Justizministerin nun, es habe sich allenfalls um einen Anruf gehandelt.

Das Privatleben wird vom Grundgesetz geschützt. Vor allem dort, wo es am Privatesten wird: zu Hause. Vor fünf Jahren hat der Bundestag, der in der letzten Woche über die ihn betreffenden Abhör-Gerüchte so empört war, dennoch die Wohnungstür geöffnet. Seitdem gehört die „akustische Wohnraumüberwachung", sprich die Verwanzung, zum Repertoire der Ermittler. Am Dienstag wird das Verfassungsgericht über diese Frage verhandeln. Wie immer das Urteil ausfällt, es wird Stoff zum Nachdenken liefern. Nachdenken darüber, ob die Sicherheitsgesellschaft übertreibt.

Drei Fragen sollte man trennen. Die erste: Ist Lauschen zweckmäßig? Von Politik und Polizei wird dies behauptet, bewiesen ist es nicht. Aber wir vermuten es, weil es eine unwiderlegbare Regel der Polizeiarbeit gibt: Je mehr Verdächtige überwacht werden, desto mehr echte Straftäter werden darunter sein, desto mehr geplante Taten werden verhindert. Ob dieser personelle, technische und finanzielle Aufwand andernorts lohnender investiert wäre, bleibt Spekulation. Wir müssen uns auf den Staat verlassen, dass er sich das gut überlegt.

Die zweite Frage: Ist es verfassungsgemäß? 1998 hat der Gesetzgeber das Grundgesetz ändern müssen, um in Wohnungen mithören zu können. Die Beschwerdeführer in Karlsruhe sehen darin verfassungswidriges Verfassungsrecht, weil ein absolut geschützter Kernbereich des Menschen verletzt würde. Allerdings war das Parlament durchaus vorsichtig. Es schrieb vor, dass diese Überwachung nur bei einem Verdacht auf schwere Taten zulässig sein soll, dass ein Richtergremium darüber entscheiden, dass der Bundestag informiert werden muss. Das Grundrecht aus Artikel 13, die Unverletzlichkeit der Wohnung, ist damals also nicht geopfert worden.

Das führt zur dritten Frage: Übertreiben wir? Wahrscheinlich. Fest steht, dass seit der Grundgesetzänderung die Schleusen für die Wohnzimmerspitzelei geöffnet sind. In der Praxis hat sich erwiesen, dass wie bei der Telefon-Überwachung der so genannte Richtervorbehalt nicht viel wert ist. Zumal es nicht mal ein dringend Tatverdächtiger sein muss, der belauscht werden darf. Es reicht ein einfacher Tatverdacht, vulgo: ein Hinweis. Die Berichte an den Bundestag sind nur ein Feigenblatt, wie auch die spätere Benachrichtigung telefonisch Überwachter von den Behörden nicht ernst genommen wird. Tatsache ist indes auch, dass sich – anders als die Telefonüberwachung – die Wohnraumverwanzung in Grenzen hält. Übrigens auch ihre Erfolge im Kampf gegen das Übel.

Die staatliche Überwachung nimmt seit Jahren zu. Es ist Sache von Karlsruhe, aber auch von Parlament und Bürgern, die Grenze zwischen Sicherheit und Freiheit richtig zu ziehen. Das sind die Kräfte des politischen Marktes: Die Bevölkerung verlangt nach immer mehr Aktion gegen Terror und Straftaten, der Staat legt los. Das Recht des Menschen, im Privaten vom Staat verschont zu bleiben, ist aber keine Sache von Angebot und Nachfrage, sondern eine der Balance.

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