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Meinung: Das Recht zum Dealen

Der Bundesgerichtshof begräbt Justiztradition: Wahrheit darf künftig ausgehandelt werden

Es ist das Schicksal des Rechts, Antworten auf Fragen geben zu müssen, die die Philosophie nicht finden kann. Ein Beispiel ist das Ringen um Wahrheit. Wenn es auch für viele verschiedene Wahrheiten geben kann, das Recht, vielmehr die Gerichte müssen sich festlegen: Auf die eine Wahrheit, jene, auf der ein Urteil gründen kann. Eine ewige Wahrheit – bis zum Anfang letzter Woche. Da hat der Bundesgerichtshof in einer kaum beachteten Entscheidung sehr Grundsätzliches zum Thema gesagt: Wahrheit muss nicht mehr erforscht, sie darf ausverhandelt werden, ja sie muss es sogar, denn das sei heutzutage „unerlässlich“.

Es ging um den so genannten Deal in Strafprozessen, eine in den letzten Jahren immer gewöhnlicher gewordene Form der Verfahrenserledigung. Ein Angeklagter räumt etwas ein, die Staatsanwaltschaft bietet eine Strafe an und das Gericht gibt seinen Segen dazu. Der Große Senat des BGH – der nur dann angerufen wird, wenn sich die Strafsenate untereinander uneins sind – verlangte jetzt noch mehr. Dringend müsse ein Gesetz her, das den Deal regelt. Man sei an die Grenze dessen gestoßen, was Richter überhaupt an „Rechtsfortbildung“ betreiben könnten. Ein solches Gesetz wäre ein kleiner Eingriff in die Prozessordnung – aber ein großer Abschied von unserer Rechtstradition: Dass es im Strafprozess um Wahrheit geht.

Der Deal ist deshalb ein Thema, das auch jene angeht, die noch nie einen Gerichtssaal betreten haben. Man erinnere sich nur an einen der spektakulärsten Deals in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte, die Einstellung des Untreue-Verfahrens gegen Altkanzler Helmut Kohl im Zuge der CDU-Spendenaffäre. Kohl zahlte 300000 Mark, und die Vorwürfe wurden fallen gelassen, noch bevor er je auf der Anklagebank hätte Platz nehmen müssen. Jener durfte sich jüngst zu seinem Geburtstag wie in alten Tagen feiern lassen, während sein Ex-Innenminister Manfred Kanther in einem ähnlichen Fall eine satte Strafe kassierte. Sechs Monate mehr, und er wäre hinter Gitter gekommen.

Deals, das ist ihr größtes Problem, sind anti-öffentlich. Während bei Kanther jedes Detail seiner Millionen-Transfers ausgeleuchtet wurde, liegt der Fall Kohl im Dunkeln. Was stört, ist nicht die fehlende Strafe, sondern das Nichtwissen über den Vorgang an sich. Denn auch dafür sind Prozesse da. Gleichwohl hat der BGH Recht. Dem Deal gehört die Zukunft, weil ihm längst schon die Gegenwart gehört. Er ist auch nicht per se schlecht. Im angelsächsischen Raum ist es von jeher Tradition, forensische Wahrheit auch im Strafprozess unter den Beteiligten zu konstruieren, statt, wie bei uns, amtlich zu ermitteln. Auch das funktioniert, hat aber einen strukturellen Nachteil: Der Staat ist immer der Stärkere. Lieber in Deutschland unschuldig vor Gericht stehen als in den USA, heißt es, und da ist Wahres dran.

Wenn Justizministerin Zypries nun das BGH-Urteil in die Reform des Strafverfahrens aufnehmen will, tut sie gut daran, unsere Wurzeln nicht zu kappen. Ein Geständnis befreit nicht von der Pflicht, das Geschehen zu ermitteln. Und wenn ein Angeklagter schweigen will, muss das sein gutes Recht bleiben – ohne dass ihm der Staat den Strick daraus dreht.

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