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Meinung: Das Stiefkind soll mündig werden

Die UN wollen Kosovo in die Unabhängigkeit entlassen – weil das Land nur so vorankommt

Von Caroline Fetscher

Im Kosovo ist das Aufatmen deutlich zu spüren. Kofi Annans Sonderbeauftragter, der Norweger Kai Eide, erklärt nämlich jetzt, es sei an der Zeit, Frustration wie Stagnation zu beenden und endlich die Statusfrage des Gebiets zu klären. Annan akzeptiert Eides Bericht, der nichts weniger bedeutet als eine historische Wende. Für die internationale Gemeinschaft war der Balkan seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zum fernen Fleck auf der weltpolitischen Landkarte zusammengeschrumpft. Seit der Sicherheitsrat im Juni 1999 eine „United Nations Mission in Kosovo“, Unmik, ins Leben rief, die von der Nato-Truppe Kfor begleitet wird, verharrte das Kosovo in einem labilen Status quo, der im März letzen Jahres sogar zu heftigen Unruhen beitrug.

„Unmikistan“ ist heute das Territorium von zwei Millionen Einwohnern in einer politischen Sackgasse. Zwar entstanden seit 1999 gute Ansätze einer demokratischen Gesellschaft. Interethnische Kooperation oder unabhängige Justiz lassen jedoch noch zu wünschen übrig. Denn vor allem fehlen Arbeitsplätze, die Basis für sozialen Frieden. Arbeit aber wird es kaum geben, solange der Status ungeklärt bleibt. Investoren scheuen Orte ohne klare Rechtsverhältnisse. Autofabriken wollen sie, sagen die Leute im Kosovo, statt perspektivloser Jobs als Chauffeure satter UN-Beamten.

Nach sechs Nachkriegsjahren unter der Ägide der UN ist das Kosovo ein Ballungsraum unhaltbarer und teurer Provisorien. Von Jahr zu Jahr wächst der Zorn auf die als parasitär erlebte Unmik-Verwaltung, und Kai Eide mahnt, bald müsse die Europäische Union das Kind adoptieren. Dann ist auch ein Ende des UN-Missmanagements in Sicht, internationale Präsenz kann selbst dann nicht aufhören, wenn „conditional independence“, eine an Auflagen geknüpfte Unabhängigkeit, Wirklichkeit wird. Als gordischer Knoten der Region wird die balkanische K-Frage, die Kosovofrage, bezeichnet. Bewegt sich das Kosovo auf Loslösung von Serbien zu, dessen Südprovinz er nominell noch ist, könnte Belgrad versucht sein, territoriale Ansprüche auf die „Republika Srpska“ anzumelden, was Unruhe ins fragile Dayton-Konstrukt Bosnien und Herzegowina brächte. Gerät das Kosovo wieder unter serbische Kuratel, wäre sogar ein neuer bewaffneter Konflikt nicht ausgeschlossen. Bis heute widersetzen sich die meisten Serben im Kosovo, manipuliert von Belgrads Politikerkaste, der Kooperation mit den neuen Institutionen. Allen jedoch, den zehn Prozent Serben wie den 90 Prozent Albanern, muss ein künftiger Status gerecht werden.

Jetzt ist die diplomatische Katze aus dem Sack: Das Kosovo strebt auf Unabhängigkeit zu. Schon stellen Albaner und Serben Verhandlungsteams zusammen. In der Politik mitmischen dürfen soll seit gestern sogar der vom Haager Jugoslawientribunal angeklagte albanische Ex-Premier Ramush Haradinaj – ein bisher unbekannter Präzedenzfall für Haager Häftlinge. Auf den mäßigenden Einfluss des so reuigen wie populären ehemaligen UCK-Kommandeurs vertraut das Tribunal. Albaner hoffen auf Martti Ahtisaari, Finnlands ehemaligen Staatschef, der als Kandidat für die Verhandlungsführung gilt, Serbien lehnt ihn bisher noch ab. Wer immer diese diplomatische Mission ausfüllt, wird gleichwohl strikt darauf achten, dass die Sicherheit der Serben im Kosovo ebenso garantiert ist wie die Unversehrtheit ihrer orthodoxen Klöster.

Tatsache ist: Serbien hat als Rechtsnachfolger der Täter seine Ansprüche auf das Gebiet Kosovo verwirkt. Bisher zeigte sich Belgrad weitgehend resistent gegenüber dieser Realität. Dabei ist sie klar zu ermitteln. Unbezahlbar wäre für das bankrotte Serbien die Wiedergutmachung für Massengräber, abgefackelte Dörfer und Moscheen, das tiefe Trauma der Provinz. Da nun Serbien-Montenegro wieder Mitglied in der Familie der Nationen werden will, kann das Begleichen dieser Rechnung nur heißen: Kosovo loslassen. Allmählich dämmert das auch den Stursten.

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