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Meinung: Das Trauma als Event

Zwei Chöre ertönen zum Thema „Natascha Kampusch“, der jüngsten Erfindung der Massenmedien, die am Mittwoch auf den Mattscheiben eine Stimme und ein Gesicht verpasst bekommen sollte. Im Laienchor dürfen Nachbarn und Passantinnen ihr Lied vom „furchtbaren Leid des Mädchens“ singen, unter Gruselschauern: „Nicht auszudenken, was sie durchgemacht hat!

Von Caroline Fetscher

Zwei Chöre ertönen zum Thema „Natascha Kampusch“, der jüngsten Erfindung der Massenmedien, die am Mittwoch auf den Mattscheiben eine Stimme und ein Gesicht verpasst bekommen sollte. Im Laienchor dürfen Nachbarn und Passantinnen ihr Lied vom „furchtbaren Leid des Mädchens“ singen, unter Gruselschauern: „Nicht auszudenken, was sie durchgemacht hat!“ Fachmännisch übernimmt dieses Ausdenken ein Chor sogenannter Trauma-Experten, fast ausnahmslos Träger von Schnauzbärten wie Doktortiteln, dazu ermächtigt, uns dies fürchterliche Leid darzulegen.

Gemeinsam ergeben die Szenarien eine gigantische Empathie-Simulation, die das Fürchten lehrt. Jeder Grundsatz psychologischer Praxis – Diskretion, diagnostische Umsicht, Schutz der Patienten – wird dem Trauma-Event geopfert. Freimütig äußerte sich etwa der Kinderpsychiater Ernst Berger bei Sabine Christiansen zur „Ambivalenz“ seiner Patientin gegenüber dem Täter. Der Fall sei „in seiner Tragik natürlich einmalig“, schwärmt der forensische Psychiater Michael Osterheider.

Die absolute Sternstunde der Spezialisten war am Mittwochabend gekommen, live, nachdem „das Opfer selbst“ Auskunft gegeben hatte. Während des Interviews hockte im Hintergrund, klinisch weiß bekittelt, eine weitere Koryphäe, der Wiener Psychiater Max Friedrich, um in der Rolle der psychohygienischen Anstandsdame der Inszenierung – durchwirkt von bunten Werbeblöcken für Tempo-Taschentücher oder „Wer wird Millionär“ – den Nimbus der Seriosität zu verleihen. Danach eilte der Wiener gleich in ein weiteres Fernsehstudio, wo er zu seiner Patientin unter anderem erklärte: „Den Panzer braucht sie weiter zum Überleben.“

Acht Jahre lang hatte sich das Objekt des Interesses im dinggewordenen Kerker der Fantasie eines einzelnen Mannes aufgehalten. Vorgeführt wird es nun als eine Mischung aus Alien, Opfer und Wunderkind der kollektiven Fantasie eines Massenpublikums. Ein Team aus der Psycho-Zunft, Leute, die an sich für das Genesen der Seele zuständig sind, erwirbt hier schamlos Aktienpakete im Emotionshandel. Kaum hatte die Überlebende ihre letzte Antwort gegeben, waren die nächsten Gutachter zur Stelle. Wenn sie beim Sprechen „die Augen verschließt“, stürzt Günter Hübner, „Experte für Körpersprache“, auf sein Sujet zu, „was muss da für ein Film abgehen im Kopf!?“ Professor Doktor Adolf Gallwitz, der in Villingen-Schwenningen gelehrt hat, glaubt, „dass die Natascha deutlich merkt, hier ist ein öffentliches Interesse“. Seine Prognose für sie ist die des Seismologen: „Natürlich muss man damit rechnen, dass in einigen Wochen, einigen Monaten, so’n Zusammenbruch kommt.“

Diese Medienbestien benehmen sich gegenüber ihrem Konstrukt „Natascha“, als hätten sie „Hausrecht in einer gequälten Seele“, wie ein Kommentator der FAZ es klar formulierte. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie an der Berliner Charité, warnt: „So ein Mensch zieht die ganzen Beziehungsgestörten dieser Welt an.“ Am Mittwoch waren das zehn Millionen Zuschauer – und das sagt viel aus über unsere Gesellschaft. Nichts aber über eine junge Frau, die wir nicht kennen.

Die Autorin ist Reporterin beim Tagesspiegel.

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