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Meinung: Dehnbare Mitte

Was Merkel und Schwarz-Gelb von Hamburgs Bürgermeister Beust lernen können

Abgedroschen klingt der Satz, man wolle eine Politik der Mitte machen. Schwarze und Gelbe wollen das, nur haben Union und FDP einen unterschiedlichen Begriff von Mitte. Guido Westerwelles Begriff ist unflexibel und meint Bürgertum. Angela Merkels Mitte ist flexibler, dehnbarer, und niemand hat diese Dehnungsfugen so gut besetzt wie der Christdemokrat Ole von Beust als Erster Bürgermeister Hamburgs. Beusts Politikstil ist ein Vorbild für die Kanzlerin.

Beust, der einst mit Hilfe des Rechtspopulisten Ronald Schill an die Macht kam, regiert nun schon bald zehn Jahre das ursozialdemokratische Hamburg. Er regierte mit Schill, mit der FDP, alleine und jetzt mit den Grünen. Beust hat sich vom selbst ernannten Wirtschaftsliberalen zum selbst ernannten Sozialversteher gewandelt – und jetzt macht er eine Schulpolitik gegen die eigene Klientel.

So wie er Politik macht, möchte Merkel, die ihm vertraut, auch handeln. Es ist eine Politik der dehnbaren Mitte. Die Gegner der Schulreform sitzen vor allem in den gutbürgerlichen Bezirken. Beim Thema Schule sind sie radikaler Rand, also Minderheit. Beust weiß, dass in Deutschland nur noch wenige Dogmatiker das dreigliedrige Schulsystem für modern halten, deshalb leistet er es sich, einem Teil seiner Wähler ständisches Denken vorzuhalten und fügt an, Politik müsse auch führen, wenn sie vom Richtigen überzeugt sei.

Auch Merkel legt sich ja, je nach Mehrheitsverhältnis, mit Teilen der eigenen Klientel an. So gibt es im konservativen Lager eine Menge Leute neben ihrem eigenen Fraktionschef Volker Kauder, die finden, dass der Staat sich mit Hehlergut nicht die Finger schmutzig machen soll. Merkel aber hat immer die Mehrheit, nicht die Klientel im Auge, und wer will der Vertreterin einer Volkspartei dies vorwerfen? Ihr Politikverständnis ruht in dem trotzig-naiven Bekenntnis: Es soll gerecht zugehen.

Guckt man weg von Hamburg, besteht das Dilemma für die deutsche Politik darin, dass immer viel gefordert wird, aber sich nichts verändern darf. Will man dieses Dilemma auflösen, hat man zwei Möglichkeiten: radikal mit dem Kopf durch die Wand – was Merkel noch 2005 ähnlich der FDP wollte. Oder wie von Beust mit einer Politik des Möglichen, um das scheinbar Unmögliche – Reformen – am Ende doch noch durchzusetzen. Beust hat die Forderung der Grünen nach einer Einheitsschule bis zur 10. Klasse als zu radikal abgelehnt, er hat Kompromisse ausgehandelt und sich das Gute der Reform angeschaut. Dann hat er sie zur Chefsache erklärt, lässt sie nun breit in der Bevölkerung moderieren und wird sie durchsetzen.

Merkels Projekt ist umfangreicher. Sie muss die FDP politikfähig machen, sie muss sie herunterholen von der Idee, man könne ein Land von jetzt auf heute radikal umkrempeln. Und sie muss eine Antwort auf die Frage finden, wie Sparen und Entlasten zusammengehen. Sollte ihr das gelingen, wird sie sich daran erinnern können, für was die Koalition ihr Mandat erhielt. War das nicht mehr Reformmut für mehr Wachstum?

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