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Meinung: Delle der Wut

In Palästina droht ein Bürgerkrieg – wegen der vielen jungen Männer Von Gunnar Heinsohn

Am Samstag will der palästinensische Präsident Mahmud Abbas ein Referendum über die Anerkennung Israels ansetzen, sollte die Hamas-Regierung nicht das Dokument übernehmen, in dem sich die in israelischen Gefängnissen einsitzenden Terroristen für dessen indirekte Anerkennung aussprechen.

Gleichzeitig beschleunigt sich in Palästina der Übergang von der Intifada zum Bürgerkrieg: Hamas-Leute erschießen am 2. Juni einen hohen Offizier von Abbas’ Fatah. Einen Tag später wird ein Kommandeur der Gegenseite lebensgefährlich getroffen. Pfingstmontag zielt die Fatah genauer. Ein Hamas-Mann fliegt mit seinem Haus in die Luft, ein anderer wird mit seiner schwangeren Frau im Auto von Kugeln durchsiebt. Schon für 2005 registrierte die Palestinian Human Rights Monitoring Group mehr interne Tote als solche im antijüdischen Krieg: „Unter den Opfern sind in erster Linie junge Männer.“

Die Söhne Palästinas werden durch UNRWA und andere Hilfswerke mit Nahrung, Bildung und Ärzten besser versorgt als die übrigen Araber außerhalb der Ölimperien. Mit dem Ergebnis, dass aus einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen eine ausgewachsenes Volk wird, das zwischen 1967 und 2006 um den Faktor neun von 0,45 auf 3,9 Millionen anwächst. Das ist Weltrekord. Bei gleicher Geburtenzahl hätte Deutschland heute nicht 82, sondern 660 Millionen Einwohnern.

Nicht nur dritte Brüder, sondern auch die meisten Erstgeborenen bleiben jedoch ohne Jobs – auch, weil die UN ihren Erfolg in den Entbindungskliniken nicht auf dem Arbeitsmarkt wiederholen können. Die Konkurrenz der Jungen wird gerade durch ihre Aussichtslosigkeit so mörderisch. Und je jünger eine Gesellschaft, desto instabiler ist sie. Junge Männer, für die eine Gesellschaft keine bessere Verwendung hat, stehen vor den klassischen Auswegen: Kriminalität, Putsch, Bürgerkrieg, Völkermord und Krieg. Heute schon stehen 650 000 Palästinenser zwischen 15 und 29 Jahren 600 000 Juden gleichen Alters gegenüber. Bei den unter 15-Jährigen träumen 1,2 Millionen arabische Knaben von der Austilgung der 600 000 jüdischen. Doch je erfolgreicher sich Israel gegen seine Vernichtung zur Wehr setzen kann, desto unausweichlicher wird das Töten zu Hause. Um gegenzusteuern, bezahlt die EU die Gehälter für 165 000 Mitarbeiter in den Bürokratien von Ramallah bis Gaza.

Das Muster für Palästinas anschwellenden Bürgerkrieg liefert Algerien, wo Islamisten 1991 die Wahlen genauso überlegen gewannen wie 2006 die Hamas. Von sechs auf 26 Millionen Einwohner explodiert der Maghrebstaat zwischen 1941 und 1991. Als die Generäle die Wahl annullieren, kostet der gegenseitige Terror 150 000 Menschenleben. Eine Ableitung der Wut mach außen misslingt: Der Kleinkrieg mit Marokko, das für neuen Lebensraum die Araber der Westsahara vernichtet, während Algerien für die Entkommenen Lager baut, ändert an der Bevölkerungslage kaum etwas. Gleichwohl wird das Land ruhig. Die Geburtenzahl pro Frauenleben bringt schon 2005 mit 1,9 Kindern nicht einmal mehr die Nettoreproduktion.

Palästina bleibt explosiv, weil man seine Menschen ungebrochen dazu verführt, nicht dem Beispiel der Algerier zu folgen. Auch 2006 gibt es knapp fünf Kinder auf der Westbank und bald sechs in Gaza. Der aktuell tobenden „youth bulge“ („Jugend-Delle“) der 15- bis 29-Jährigen folgen die beiden nächsten auf dem Fuße. Für deren Entlastung gibt es fünf, auch miteinander kombinierbare, Optionen: (1) Gefallene im Krieg gegen Israel, (2) Dezimierung durch Mord und Bürgerkrieg, (3) Abbau der Vermehrungspolitik, (4) Aufnahme der Kämpfer in den aussterbenden Geberländern und (5) steigende Zahlungen aus Brüssel für die Verbeamtung dieser so zornigen Jugend. Europa will das Geld an der Hamas vorbei direkt an kinderreiche Familien geben. Aber wird diese verschärfte demographische Aufrüstung den Frieden näher bringen?

Der Autor ist Professor an der Universität Bremen.

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