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Demjanjuk-Prozess: Vom Opfer zum Mittäter

Warum die Justiz auf den Prozess gegen Demjanjuk nicht verzichten kann.

John Demjanjuk sieht sich als Opfer der deutschen Justiz, dem nur ein einziger Ausweg bleibt: der Hungerstreik. Wird in München ein alter, kranker Mann am Ende seines Lebens vor Gericht gezerrt und für NS-Verbrechen zur Rechenschaft gezogen, für die ganz andere verantwortlich waren? Tatsächlich ist es ungewöhnlich, dass einem 90-Jährigen der Prozess gemacht wird – für Taten, die mehr als 67 Jahre zurückliegen. Demjanjuk war außerdem kein deutscher SS-Offizier, sondern ein ukrainischer Wachmann, der selbst zuvor in Kriegsgefangenschaft geraten war. Deutsche SS-Männer wurden in der Vergangenheit für Verbrechen in den Vernichtungslagern sogar freigesprochen.

Dennoch hätte die Münchner Justiz auf diesen Prozess kaum verzichten können. Mord verjährt nicht, ein Menschheitsverbrechen wie der Holocaust schon gar nicht. Dass der Prozess Demjanjuk gesundheitlich zumutbar ist, haben Ärzte festgestellt. In den 60er Jahren waren mehrere deutsche Befehlshaber aus den Vernichtungslagern mit Freisprüchen davongekommen. Doch aus den früheren Versäumnissen in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen darf man nicht den Schluss ziehen, dass sich heute Prozesse gegen Täter am unteren Ende der Hierarchie von selbst verbieten. Außerdem trifft die Behauptung, die deutsche Justiz gehe jetzt nur gegen einen ausländischen Helfer der SS vor, anstatt deutsche Täter zu verfolgen, nicht zu. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat eine neue Phase der Aufarbeitung begonnen.

Dass der Prozess gegen Demjanjuk erst so spät geführt wird, erschwert ihn, weil wichtige Zeugen längst tot sind. Doch Angehörige der Opfer von Sobibor sind noch am Leben. Für sie, die auch als Nebenkläger auftreten, ist dieser Prozess von unschätzbarer Bedeutung. Manche von ihnen sind kaum jünger als Demjanjuk. Das Verbrechen an ihren Familien belastet sie bis heute, Tag für Tag. Ihnen geht es um die Wahrheit und um Gerechtigkeit. So ist es schon ein Verdienst dieses Prozesses, diesen Menschen Gehör zu verschaffen.

Demjanjuk hat an der furchtbaren Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa gelitten, er hungerte in der Ukraine unter Stalin und geriet als Soldat der Roten Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft. Aber wenn die Anklage zutrifft, ist er an einem bestimmten Punkt vom Opfer zum Mittäter geworden. Die Frage, ob er eine Wahl gehabt hätte oder andernfalls selbst getötet worden wäre, ist eines der schwierigsten Themen dieses Verfahrens.

Von einem „politischen Schauprozess“, wie es in Demjanjuks Erklärung heißt, kann keine Rede sein. Der Angeklagte und sein Verteidiger arbeiten vielmehr selbst an einer Inszenierung, in der Demjanjuk mit allen Mitteln als Opfer der deutschen Justiz dargestellt werden soll. Die Inszenierung gipfelte nun in der Androhung des Hungerstreiks. Dadurch machen Demjanjuk und sein Verteidiger den Prozess selbst zur Farce.

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