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Immer mehr Neugeborene haben Migrationshintergrund.

© dpa

Demografie: Wir sind der Wandel

In den USA lässt sich gerade beobachten, wie aufgrund der demografischen Entwicklung aus Minderheiten Mehrheiten werden - und wie diese das Bild des Landes nachhaltig prägen. Auch in Deutschland wird es Zeit, sich schon mal daran zu gewöhnen.

Wird der 21-jährige Felipe Valdez aus Arizona die amerikanische Präsidentschaftswahl entscheiden? Die Frage kann nur verstehen, wer die jüngste Nachricht kennt: Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurden dort nämlich mehr nicht-weiße als weiße Babys geboren. Zwar bilden Weiße in der Gesamtbevölkerung immer noch eine Mehrheit, doch diese Mehrheit schrumpft. Amerikas Weiße werden weniger und älter, die Nicht-Weißen – Latinos, Schwarze und Asiaten – prägen das Gesellschaftsbild, insbesondere in Großstädten.

Arizona ist ein eher konservativer US- Bundesstaat. Prägnant lässt sich die Entwicklung im Bezirk Yuma ablesen: Nur 18 Prozent der unter 20-Jährigen in Yuma ist weiß, aber 73 Prozent der über 65-Jährigen. Viele junge, geburtenstarke Nicht-Weiße setzen die Agenda. Sie wollen liberale Einwanderungsgesetze, bessere und billigere Bildung, praktische Formen der Integration. Kein Wunder, dass sich Hispanics zu zwei Dritteln für Barack Obama aussprechen, obwohl unter ihm die Zahl der Abschiebungen einen Rekordstand erreichte. Doch Herausforderer Mitt Romney gibt sich noch härter und unterstützt die drastischen Einwanderungsgesetze von Arizona. Gibt das im November den Ausschlag? Entscheidet der fiktive Felipe Valdez die Wahl?

Weil demografische Entwicklungen schleichend ablaufen, wird ihre gesellschaftliche Dynamik oft unterschätzt. Wer glaubt, die Vergreisung und Minorisierung traditioneller Bevölkerungsschichten sei ein typisch amerikanisches Phänomen, irrt. Rund 31 Prozent der minderjährigen Kinder in Deutschland haben bereits einen Migrationshintergrund, in Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern sind es sogar 46 Prozent. In fast jedem dritten Haushalt in Deutschland leben mittlerweile Senioren.

Angela Merkel sprach am Freitag auf dem Katholikentag in Mannheim zum Thema demografischer Wandel. Dieser sei „keine Zukunftsmusik mehr, er hat uns längst erreicht“. Merkel warb dafür, Jung und Alt nicht gegeneinander auszuspielen, an der Rente mit 67 festzuhalten und Migranten zu integrieren. Das alles ist richtig. Trotzdem fehlt, angesichts der Trends, jener dramatische Unterton, wie er zum Beispiel bei Euro-Krise und Energiewende zu hören ist. Deutschland hat, global betrachtet, eines der höchsten Durchschnittsalter, eine der niedrigsten Geburtenraten, bei zunehmendem Fachkräftemangel. Keine Maßnahme, vom Elterngeld bis zur Öffnung des Arbeitsmarktes für Akademiker aus Osteuropa, hat daran bisher etwas ändern können.

Amerikas Bevölkerung wächst, dank der Nicht-Weißen. Auch kulturell verändern sie das Land. Die Hispanics etwa sind überwiegend katholisch, inzwischen aber gibt es unter ihnen auch zehn Millionen Evangelikale. Die sind einerseits gegen Abtreibung und Homo-Ehe, andererseits für eine gesetzliche Krankenversicherung, gegen die Todesstrafe und gegen Präventivkriege. Multikulturelle, sozialstaatlich orientierte Bibeltreue – das bereichert viele Debatten.

In Deutschland hat die 68er-Generation das Pensionsalter überschritten. Uschi Obermaier und Rainer Langhans suchen womöglich schon ein Altersheim. Betreut würden sie dort wohl von migrantischen Pflegekräften. Tatjana aus Polen oder der verschleierten Gülca könnten sie von ihren Erlebnissen in der Kommune 1 erzählen. Auch das hätte was.

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